Titelthema

Ein guter Weg für Afrika

Tausende traditionelle Gemeinden im Senegal wollen Ökodörfer werden.
von Kosha Anja Joubert, erschienen in Ausgabe #20/2013
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Wir fahren über endlose, staubige Straßen durch eine beinahe leere und doch wunderschöne Landschaft: Riesige Baobab-Bäume wechseln mit kleinen Dörfern aus strohgedeckten Hütten ab. Jane Rasbash und ich reisen als Vertreterinnen des Global Ecovillage Networks (GEN) und des Bildungsinstitus Gaia Education mit dem frisch gewählten Präsidenten von GEN-Afrika, Ousmane Pame, sowie senegalesischen Regierungsvertretern, Aktivisten der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlern und den spirituellen Führern einer Sufi-Stiftung.

Wir erreichen Backombel, eines der Pilotprojekte des senegalesischen Regierungsprogramms für die Entwicklung von traditionellen Dörfern zu Ökodörfern. Hier können wir mit eigenen Augen die schlichte Komplexität eines ganzheitlichen Ansatzes erfahren. Junge Männer erklären uns die Technologie eines Solarsystems. Sie zeigen uns Straßenbeleuchtungen und Licht in den Wohnhütten, und wir erkennen darin die faszinierende Verbindung von Traditionen mit einer innovativen, angepassten Technologie. Die Dorfbewohner zahlen einen kleinen Beitrag für ihre Beleuchtung und ermöglichen so Ausbildung und Arbeit für die Dorfjugend. Die Frauen des Dorfs zeigen uns stolz die Vorteile ihrer neuen, sparsamen Kochtechniken, einer Kombination von Lehmöfen, verschiedenen Solarkochern und Biogas von ihren eigenen Tieren. Die Frauen haben das Lehm­ofenmodell mit der Universität von Dakar entwickelt, indem sie deren Forschungs­ergebnisse mit ihrem Graswurzelwissen kombinierten. Durch den Bau und Vertrieb solcher Technik entstehen im Dorf neue Verdienstmöglichkeiten.
Bei einem Rundgang sehen wir Wiederaufforstungsprogramme, klimagerechte Anbauformen in Gemeindegärten, ökologische Architekturexperimente, Züchtungen von lokalen Hühnersorten und intelligente Wasserauffangsysteme. Der Computerraum der Schule ermöglicht Kindern und Erwachsenen via Internet die Reise in die Welt der globalen Commons. Hier finden sich virtuell ländliche und kosmopolitische, traditionelle und innovative, Graswurzel- und Regierungsansätze zusammen. Die praktischen Ergebnisse sind erfrischend. Der Gedanke der Permakultur, wonach jeweils die Grenze zwischen Systemen und Kulturen der Bereich für die interessantesten Neuerungen sei – hier liegt er zum Greifen nah.
Bevor ein Dorf für das Ökodorfprogramm in Betracht kommt, müssen einige Erfordernisse erfüllt werden. Zuerst müssen verschiedenen Bevölkerungsgruppen dem zustimmen: die Ältesten, Männer, Frauen und Jugendliche. Das Dorf sagt zu, dass ein gewisser Teil des traditionell gemeinschaftlich gehaltenen Landes für die Wiederaufforstung zur Verfügung gestellt wird. Die Infrastruktur, die am Ort aufgebaut wird, wird auch den umliegenden Dörfern zur Verfügung gestellt. Von allen Einnahmen wird ein bestimmter Prozentsatz zurückgelegt, um im Fall von Krisen, aber auch als Initialfinanzierung für weitere Projekte zur Verfügung zu stehen. Zumindest vom Ansatz her unterstützt und stärkt dieses Programm aktiv das Commoning. Inwiefern die guten Absichten in der Praxis über lange Zeit tragen, wird sich erst noch zeigen müssen.

Tradition neben angepasster Technik
Wir verlassen Backombel, um uns mit 40 Bürgermeistern und Landräten der hiesigen Region Sandiara zu treffen. Wie es Tradition für ihre Versammlungen ist, sitzen alle gemeinsam im Schatten eines riesigen Baobab-Baums, als sie feierlich eine Petition unterzeichnen, die den Umbau weiterer Dörfer ihrer Region in Ökodörfer unterstützt. Statt, wie geplant, sofort weiterzufahren, um uns mit drei Ministern zu treffen, werden wir zu einer Beerdigungsfeier eingeladen. Dieses Mal braucht es einige Baobab-Bäume mehr, um die Massen an Männern und Frauen und all die Musiker und Köche zu beschatten, die gekommen sind, um den Übergang eines menschlichen Wesens in das Reich seiner Vorfahren zu begleiten. Als wir schließlich bei den drei Ministern für Umwelt, Landwirtschaft und Gemeindeentwicklung eintreffen, erklärt jeder von ihnen seine Unterstützung für eine Global-Ecovillage-Konferenz im Senegal im Jahr 2014. Soweit wir wissen, ist der Senegal weltweit das erste Land, das das Konzept von Ökodörfern konsequent als Strategie anwendet, um in größerem Maßstab nachhaltige Entwicklungen einzuleiten. Es wurde eine National­agentur gebildet, die 14 000 traditionelle senegalesische Dörfer in Ökodörfer umwandeln soll. Die Regierung lässt sich dabei von der Graswurzelarbeit der bereits bestehenden 45 Ökodörfer von GEN-Senegal inspirieren. Dort hat die Zivilgesellschaft Beispiele geschaffen, wie die lokale Bevölkerung effektiv den Trend der Landflucht umkehren kann, indem sie das Beste ihrer Traditionen mit einer gemeinsamen Vision für ihre Zukunft verbindet.
Der Senegal besitzt gute Voraussetzungen für eine solche Entwicklung: Der Prozess, Commons zu schaffen, beginnt hier auf einem anderen Niveau als etwa in Deutschland. Der Geist von Gemeinschaft, von gemeinsamem Landbesitz, der Vorrang des Gemeinwohls vor Einzelinteressen sowie die Werte von Gastfreundschaft und Großzügigkeit sind über Jahrhunderte tradiert worden und nach wie vor in den Herzen und Köpfen der Menschen lebendig. Man glaubt hier, dass die Seelen der Vorfahren mit den Baobab-Bäumen und anderen machtvollen Naturorten verbunden sind. Eine Störung dieser Orte würde die Verbindung zwischen Mensch und Natur unterbrechen und allen Beteiligten Unglück bringen. Die Ältesten werden als Vermittler und lebendiges Gedächtnis ihrer Gemeinschaften geachtet und geehrt.
Während unserer Reise hatten wir nicht einmal die Gelegenheit dazu, unsere sorgsam vorbereitete PowerPoint-Präsentation zu zeigen. Mal fehlte Strom, mal der Projektor, mal die Leinwand oder die Zeit. Stattdessen bestand ein Hauptteil aller Treffen in der ausführlichen Vorstellung sämtlicher Teilnehmer. Anwesende werden durch den Sprecher der Versammlung mit ihren Namen, wichtigen Taten, Fähigkeiten und Potenzial eingeführt – ein für uns eher ungewöhnlicher Vorgang. Dadurch wird das Potenzial des Kollektivs präsent gemacht, Reichtum und Vielfalt der Erfahrungen aller Beteiligten werden geehrt. Bevor die eigentlichen Beiträge beginnen, wird jeweils traditionelle Musik gespielt, was die Menschen noch weiter öffnet. Wenn dann für den Einzelnen die Zeit kommt zu sprechen, wird dies in der Tradition einer verbalen Kultur getan, die in Geschichten kommuniziert und deren zentrale Themen so lange wiederholt werden, bis sie ganz im Bewusstsein der Anwesenden angekommen sind. Westliche Versammlungen verlasse ich oft mit einem Überfluss an Informationen im Kopf, von denen ich die meisten schon bald wieder vergesse. Hier fühle ich mich genährt von der Einfachheit der Aussagen, die ich verdauen und an die ich mich erinnern kann – ein lebendiges Lehrstück für die Bedeutung kulturell-geistiger Gemeingüter.
Die traditionellen Gemeingüter Afrikas sind heute einer rasch zunehmenden Erosion ausgesetzt. Eine ökonomische Version des Kolonialismus greift um sich, indem Land sowie Rechte an natürlichen Ressourcen an fremde Investoren verkauft werden. Die alte Tradition des gemeinschaftlichen Wirtschaftens weicht einer Disney-Kultur mit ihren Hautaufhellern und der Privatisierung von Land, Wohnen und Familie. Dennoch besteht Hoffnung, dass Afrika nicht in die Fußstapfen des Nordens treten wird, sondern einen eigenen Weg in die Zukunft entwirft. Das senegalesische Ökodorf-Programm inspiriert auch andere Länder, sogar über den Kontinent hinaus. So hat die Regierung von Thailand ihr Interesse angemeldet, ganze Provinzen umzuwandeln.

Intentional-traditioneller Dorfdialog
Das Konzept der Transformation von Dörfern wurde in den letzten fünf Jahren verstärkt im GEN-Netzwerk ent­wickelt. Es geht immer stärker um den Brückenschlag zwischen intentionalen und traditionellen Gemeinschaften. GEN bietet Räume für einen Süd-Nord-Dialog, der es lokalen Gemeinschaften ermöglicht, ihre eigene Zukunft zu entwerfen. Der tiefe Schmerz unserer miteinander verwobenen Geschichte des Kolonialismus, die Gefühle von Wut und Schuld, die Sehnsucht nach Vergebung und Versöhnung sind alle Teil dieser Heilung verheißenden Reise.
Bevor wir den Senegal verlassen, werden Jane, Ousmane und ich eingeladen, jeweils einen Mangobaum zu pflanzen, der nun im Namen von GEN und Gaia Education im Garten des Umweltministeriums wächst. Er steht dort für die Chance und die Hoffnung, jahrtausendealte Konzepte der Fürsorge für die Welt mit dem globalen Ziel des Commoning für einen nachhaltigen Planeten zu verbinden.•


Kosha Joubert (44), Vorstandsvorsitzende von GEN Europe, lebt im schottischen Findhorn. Sie ist Autorin des Buchs »Die Kraft der kollektiven Weisheit« (Kamphausen, 2010).

Eine Welt aus Ökodörfern mitbauen
www.gen.ecovillage.org
www.gensenegal.org
www.gen-africa.org

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