Permakultur

Mehr als eine Ernte

von Patrizia Heise, Agathe Gehrig, erschienen in Ausgabe #19/2013
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Wie bist du dazu gekommen, hier in Döni­haus Landwirtschaft zu betreiben, und was ist das Besondere an eurem Betrieb?

Wir pflanzen auf unseren biologisch bewirtschafteten Feldern Kräuter wie Pfefferminze, Eibisch und Verveine (Eisenkraut), die zu Tee oder Arzneimitteln verarbeitet werden. Es wachsen auch Erdbeeren, Himbeeren, Spargel, Sonnenblumen, Gerste, Urdinkel und Süßlupinen. Auf die Idee, selbst Land zu bewirtschaften, hat mich eine Reise nach Nepal gebracht. Vorher habe ich nie darüber nachgedacht. Weil wir in der glücklichen Lage waren, das Land meines Großvaters zu besitzen, haben wir vor zwei Jahren die Pachtverträge gekündigt und angefangen, es selbst zu bewirtschaften.
Besonders wichtig ist es uns, achtsam und bewusst mit den Pflanzen und der Erde umzugehen – auch bei alltäglichen Arbeiten, wenn wir beispielsweise den Acker bestellen, pflanzen, pflegen, ernten oder verarbeiten. Wir versuchen, eine Haltung von Achtung und Respekt der Natur gegenüber einzunehmen. Ich bin davon überzeugt, dass – wenn man mit ganzem Herzen bei der Arbeit ist – diese Qualität auch den Produkten und den Menschen zugutekommt. Letzten Sommer haben wir das erste Mal schweigend Pfefferminze geschnitten. Es war ein sehr konzentriertes und meditatives Arbeiten – eine sehr intensive Erfahrung.

Also geht es euch um mehr als nur um die Nahrungsmittelproduktion?

Ja, es war eine Fahrradreise von Lhasa nach Kathmandu, die den Anstoß gab. Da habe ich gesehen, wie wenig die Menschen zum Leben brauchen, wie sie dort mit sehr kleinen Anbauflächen leben – gut leben und dabei glücklich und zufrieden sind.
Ich bin dann, kurz gesagt, nach Hause gefahren, habe meinen Audi S3 verkauft, Solarzellen aufs Dach gebaut und mein Leben total verändert. Einen Hof und Land hatte ich ja schon, nur dass ich außer dem Garten vorher nicht viel daraus gemacht hatte. Ich arbeite ja auswärts in der Gewaltprävention für Jugendliche und begleite unterschiedlichste Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Nun tat sich hier plötzlich die Möglichkeit auf, mehr Menschen zu erreichen. Ich hatte die Vision, zusammen mit meinen Töchtern und vielen Helfern etwas zu produzieren, womit wir Inspiration verbreiten könnten.

Ich habe eure Vielfalt im Anbau gesehen, dabei ist euer Unternehmen doch noch ganz jung! Wie und wo vermarktet ihr die Produkte?

Einen Gemüse- und Blumengarten für den täglichen Bedarf hatten wir schon länger, aber erst Anfang letzen Jahres wurde der ganze Hof auf die eigene Bio-Bewirtschaftung umgestellt.
Seitdem produzieren wir für die Napf-Kräuter GmbH, eine Anbaugenossenschaft in unserer Region. Die Mitgliedschaft verschafft uns die nötigen Kontakte, um unsere Kräuter zu vermarkten, beispielsweise Minze für Hustenbonbons. Es gibt aber auch Verträge mit regionalen Bio-Lieferanten. Später möchten wir zusätzlich auf Märkten verkaufen, um direkten Kontakt mit Menschen aufzubauen, die sich für unsere Produkte interessieren. Da wir an einem wunderschönen Ort wohnen, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar ist, betreiben wir keinen Hofladen. Es ergibt ökologisch keinen Sinn, wenn einzelne Käufer wegen eines Beutels Tee oder eines halben Kilos Spargel mit dem Auto zu uns fahren. Ich kann aber genauso wenig nachvollziehen, dass man bei uns in der Schweiz Tee aus Indien kaufen muss. Ich möchte Tee aus der Schweiz kaufen! Da, wo er gepflanzt wird, soll man ihn auch trinken, oder in unserem Fall: Da, wo er getrunken wird, soll man ihn auch pflanzen!

Ist das der Gedanke von Nachhaltigkeit, den ihr konsequent umsetzt?

Ja, es stimmt mich immer wieder nachdenklich, dass es bei uns so wenig Kräuterkulturen gibt, denn ich habe in Indien gesehen, dass es mit ganz einfachen Mitteln möglich ist, Teeplantagen zu bewirtschaften – und dort liegen die Landflächen nicht so ideal wie vielerorts bei uns. Ich denke, wir sind einfach zu bequem, weil der Anbau nicht mit Maschinen möglich ist, sondern viel Handarbeit erfordert. Aber ich will nicht urteilen, sondern lieber meine eigenen Ideen und Visionen umsetzen. Die positive Seite der vielen aufwendigen Handarbeit ist nämlich, dass man dadurch vielen Menschen die Natur wieder näherbringen kann. Es ist ein Weg, sie zu sensibilisieren für ihre Wunder und Vollkommenheiten, ihr Werden, Sein und Vergehen. Wir bieten den Menschen eine Möglichkeit, mit der Erde zu arbeiten, sich mit dem Pflanzen, Pflegen und Ernten zu befassen. Ich habe viele freiwillige Helfer, die – ihren Möglichkeiten und Voraussetzungen entsprechend – bei uns arbeiten. Sie freuen sich, dieses Wachsen, Gedeihen und Blühen mitzuerleben, und nehmen das als eine große Bereicherung wahr. Einige von ihnen haben vorher noch nie auf Feldern oder im Garten gearbeitet. Es ist wunderbar, zuzusehen, wie sie bei der Arbeit aufblühen.

Sind das Menschen aus der Umgebung? Wie kommen sie zu euch?

Zum einen sind es Menschen, die bei uns Meditation praktizieren. Wir haben unsere Räume für Retreats und Seminare geöffnet. Sie kommen, und wir erleben dann, dass sie schnell auch auf die Pflanzungen aufmerksam werden und ihre Hilfe anbieten. Daraus ergibt sich oft ein längerfristiges Engagement. Zum anderen sind es Menschen, die uns zufällig in unterschiedlichsten Lebenssituationen begegnen und Interesse bekunden, bei uns mitzuarbeiten. Wir sind natürlich sehr froh über diese freiwillige, unentgeltliche Hilfe, denn am Anfang kommen viele Anschaffungen und Auslagen auf einen zu, aber noch keine oder nur sehr wenige Einnahmen. Im Gegenzug geben wir ihnen je nach Saison unsere frischen Produkte, es gibt Zeit für gute Gespräche, und wir beantworten ihre Fragen.

Könnt ihr denn davon leben, du und deine beiden Töchter?

Um davon zu leben, müssten wir den ganzen Betrieb auf Effizienz, Wirtschaftlichkeit, schnellstmögliche Produktion und große Erträge ausrichten. Wir könnten dann aber den Pflanzen die natürliche Zeit zum Wachsen nicht mehr geben, und das würde nicht zu unseren Visionen und Lebenseinstellungen passen. Deshalb hat die jüngere Tochter eine Ausbildung zur Bürofachfrau abgeschlossen und ist zur Zeit in der Ausbildung als nebenberufliche Landwirtin. Sie wird in beiden Berufen arbeiten, also auch auswärts Geld verdienen. Die ältere Tochter arbeitet in ihrem Traumberuf; sie ist Kleinkindererzieherin und eröffnet gerade einen Babyhort, in dem sie arbeiten wird. Die restliche Zeit hilft auch sie auf dem Hof. Ich arbeite im Winter an Schulen, halte Vorträge, gebe Kurse zu Gewaltprävention und begleite Menschen, die aus der Spirale von Gewalt und gewalttätigen Auseinandersetzungen aussteigen wollen.

Sind das Programme, die vom Staat gefördert werden, um Gewaltfreiheit an Schulen zu vermitteln?

Es sind eher Privatpersonen oder Gemeinden, denen es finanziell sehr gut geht, außerdem auch einige Frauenvereine oder andere Organisationen. Natürlich gibt es auch einige staatliche Sozialprogramme. Aber leider kommen präventive Maßnahmen meist erst dann zum Einsatz, wenn die Gewalt schon eskaliert ist. Diese Arbeit erfordert jeweils meinen ganzen Einsatz und alle meine Kräfte. Die Arbeit an Erde und Natur, mit den Blumen und Pflanzen, bietet mir einen sehr guten Ausgleich und die Möglichkeit, mich zu erden und neue Kräfte zu sammeln.

Euer Hof ist also ein Herzensprojekt, bei dem es nicht in erster Linie ums Geldverdienen geht, sondern darum, mit der Natur in Kontakt zu sein. Dass ihr wunderbare Produkte auf den Markt bringt, ist quasi ein Nebeneffekt?

Richtig, unsere Arbeit soll wie eine Heilung oder eine Hilfe zur Selbstheilung sein. Viele Menschen suchen eine sinnvolle Aufgabe und fragen mich: Kann ich auch dann auf den Hof kommen, wenn es mir nicht gutgeht? Und natürlich dürfen sie das! Gerade in der heutigen Zeit, in der nur Leistung zählt, ist es so wichtig, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Entscheidend für uns ist die Absicht, warum sie helfen möchten: nämlich um sich gut zu fühlen und auch, um etwas für andere zu tun und diese Erfahrungen weiterzugeben.

Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen ein solches Angebot gerne annehmen. Könnt ihr auch von deren Erfahrungen profitieren?

Viele der Frauen, die regelmäßig hierher kommen, habe ich früher in schwierigen Situationen begleitet. Wir alle praktizieren Raja Yoga Meditation; daraus sind in den vergangenen zehn Jahren viele Kontakte entstanden. Immer wieder habe ich auch Gespräche geführt, ohne dafür Geld zu verlangen. Diese Frauen geben mir jetzt etwas zurück, indem sie mir ihre Hilfe anbieten oder ihr Wissen weitergeben.
Ich kann sehr viel von ihnen lernen, da sie zum Teil auf Bauernhöfen aufgewachsen sind oder bis heute dort leben. Die eine kann Konfitüre machen, die andere ist spezialisiert auf Getrocknetes. Sie freuen sich, dass sie jetzt auch etwas für mich tun können. In diesem Miteinander fühlen wir uns alle getragen. Viele unserer Helferinnen können die Erfahrungen, die sie hier durch die Natur oder im Umgang mit den anderen Menschen machen, auch positiv in ihr Leben zu Hause einbringen.

Euer Vorhaben ist also nicht systematisch geplant, sondern entwickelt sich ganz natürlich?

Von Anfang an gab es die Vorstellung, dass wir unser Land, wenn wir es nicht mehr verpachten, in einem gegenseitigen Geben und Nehmen bewirtschaften möchten. Wir versuchen, der Natur zu geben, was sie braucht, und sie gibt uns, was sie geben kann: nicht nur Früchte, sondern auch ihre Wunder und Schönheiten, Ruhe, Stille, Geduld.
Unsere Visionen kann man nicht mit dem Verstand organisieren. Sie brauchen Raum, um sich entwickeln zu können. Wir versuchen, den Dingen so weit wie möglich ihren Lauf zu lassen. So haben wir jetzt eine Blumenwiese angesät und lassen uns überraschen, welche Tiere und Pflanzen sich dort ansiedeln. Wir haben Hecken, Stein- und Holzhaufen für die unterschiedlichsten Lebewesen, Vogelhäuschen und Nistkästen für Fledermäuse. Wir möchten auch bei der Gestaltung und Bewirtschaftung des Geländes natürliche Kreisläufe schaffen. Jetzt im Herbst legen wir einen Bach mit Weiher an. Im Frühling pflanzen wir Kräuter und Blumen sowie Spezialkulturen wie Süßlupinen und Urdinkel.

Lupinen benötigt man doch, um Tofu herzustellen?

Ja beinahe. Tofu wird eigentlich aus Sojabohnen gemacht, aber Süßlupinen haben einen ähnlich hohen Eiweißgehalt. »Lopino« wird der »Lupinen-Tofu« auch genannt. Der Schweizer Migros-Genossenschaftsbund lancierte ein Projekt zur Pflanzung von Süßlupinen. Und weil wir hier kein Fleisch essen, sind wir sehr an diesen und ähnlichen Produkten interessiert. Nach den Spezialkulturen kommt in der Fruchtfolge dann die Erholungszeit in Form einer Wiese, die wir ganz bewusst pflegen, oder indem wir etwas anbauen, aus dem sich wiederum ein Kreislauf ergibt. Auch den angrenzenden Wald bewirtschaften wir nachhaltig. Eine solche Kultur des Gebens und Nehmens in der Arbeit mit dem Land und mit den Menschen habe ich vor allem in Tibet erlebt. Wie wenig braucht es doch, damit es für alle reicht!

Mir fällt auf, dass du immer wieder bewusst innehältst. Langsames Gehen scheint dir auch bei der Hof­arbeit wichtig zu sein. Gehört das auch zu deiner Philosphie?

Ich habe mit der Meditation gelernt, Schritt für Schritt zu gehen. Hier ist gerade Hochsaison, und es ist wichtig, dass ich trotzdem meine Ruhe behalte. Wenn so viel los ist und alle gleichzeitig mit Fragen auf mich einstürmen, muss ich die Übersicht behalten. Wenn die Hektik am größten ist, machen wir dann manchmal Pause und trinken einen Kaffee oder Tee, was für einige freilich sehr ungewohnt ist. Dann planen wir die nächsten Schritte, und ich versuche, offen gegenüber den Meinungen und Ansichten anderer zu sein.

Das inspiriert zum Mitmachen!

Die Arbeit in der Natur schenkt immer wieder Möglichkeiten, sich in innerer Ruhe zu üben. Wenn ich alleine unser Spargelfeld jäte, in dem sehr viel Gras wächst, darf ich lernen, Geduld zu haben und nicht aufzugeben. Das gelingt mir längst nicht immer, aber es ist wichtig, die Freude dabei nicht zu verlieren. In jedem Moment achtsam zu sein – das ist wirklich schön.

Ihr kommt ja sportlich aus einem ­Bereich, in dem Achtsamkeit auch eine große Rolle spielt.

Ja, wir haben Kampfsport betrieben. Ursprünglich komme ich vom Handballsport und habe sehr engagiert in der Schweizer Nationalmannschaft gespielt. Später lernte ich Karate und gab zwischenzeitlich auch selber Unterricht. Karate ist ein Kämpfen ohne Gewalt mit Achtung, Respekt und Disziplin. Eigentlich dient diese Kunst einem friedfertigen Zweck, und das ist auch ein Teil meiner Arbeit: Prävention für ein gewaltloses Leben, das heißt auch Selbstachtung, Selbstrespekt, Selbstbehauptung. Sich körperlich wehren zu können, ist eigentlich nur ein sehr kleiner Teil im Karate. Viel wichtiger ist es, sich klar auszudrücken, Grenzen zu setzen und innerlich zentriert zu bleiben.

Das gilt bestimmt nicht nur in der Landwirtschaft! Vielen Dank für das schöne Gespräch, ich wünsche dir weiter alles Gute für euren Hof! •

 

Agathe Gehrig (52) war Handballerin im Schweizer Nationalteam und mehrfache Meisterin im Karate. Heute ist sie Karateinstruktorin und arbeitet im Bereich Gewaltprävention. Seit 2011 bewirtschaftet sie mit ihren beiden Töchtern den Hof ihres Großvaters am Sempachersee im Berner Oberland. Kontakt: gehrig_ät_bluewin.ch

Patrizia Heise (53) lebte während ihrer psychoanalytischen Ausbildung sechs Jahre in der Schweiz. Heute engagiert sie sich an ihrem Wohnort Freiburg unter anderem für die Transition-Town-Initiative sowie die Gartencoop Freiburg, über die sie zuletzt für Oya schrieb.

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