Gemeinschaft

Gärtnern verbindet

Die »Garten Coop Freiburg« wächst und gedeiht.
von Patrizia Heise, erschienen in Ausgabe #18/2013
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Es ist Donnerstag, Ernte- und Verteiltag bei der »Garten Coop«. Ich habe einen Einsatz und sitze mit sechs anderen Mitgliedern, die sich an diesem Tag zum Helfen gemeldet haben, mit Handschuhen und Unkrauthacke ausgerüstet auf dem Acker. Unsere Aufgabe: die winzigen Rote-Bete-Pflanzen vom Beiwuchs zu befreien, die ihnen Nährstoffe, Licht und Platz wegnehmen. Es ist gar nicht einfach, die »richtigen« von den »falschen« Sprösslingen zu unterscheiden – so ähnlich sind sich manche. Kathrin hat uns angeleitet und arbeitet auch mit. Wenn etwas unklar ist, kann man sie fragen. Geduldig gibt sie immer wieder Auskunft. Sie gehört zur Stamm-Belegschaft von mittlerweile vier Profigärtnerinnen und -gärtnern der Coop. Nach ein paar Fehlgriffen gelingt es mir besser, nur das Unkraut zu erwischen. So lerne ich durch das Helfen dazu. Mit einer Frau, die auf der anderen Seite der Reihe arbeitet, komme ich ins Gespräch. Das passiert oft auf dem Acker – man redet mit anderen, lernt Leute kennen, mit denen man sonst nicht zu tun hätte, und es werden nützliche Kontakte geknüpft.

Aller Anfang ist schwer
Frühjahr 2008. Das Schlagwort »Finanzkrise« taucht am Horizont auf und schwebt düster und bedrohlich über uns. Ich beginne, mich mit Freunden zu treffen, die von ähnlichen Fragen umgetrieben werden: Was passiert da wirklich mit den Banken und der Wirtschaft? Hat es eine Auswirkung auf unser persönliches Leben? Was können wir tun? Wir befinden uns in einem emotionalen Ausnahmezustand zwischen Angst, Nachdenken und der Suche nach Alternativen. Wenn alles zusammenbricht, braucht man am dringendsten den Zugang zu Nahrungsmitteln. Die Idee, Gemüse selbst zu produzieren, um an dieser Stelle unabhängiger zu sein, liegt auf der Hand. Also beginne ich mit Feuereifer, Beete anzulegen, Gemüse und Kräuter auszusäen. Aber schon bald tauchen die ersten Probleme auf: ein Teil des Saatguts keimt fast gar nicht und das, was aufgeht, wird von Schnecken gefressen. Der Traum vom eigenen Gemüse schwindet dahin, Gift will ich aber nicht anwenden. Im Sommer kann ich zwar dann doch noch einiges ernten; den kompletten Bedarf an Gemüse hätte das aber bei Weitem nicht gedeckt. Bodenbeschaffenheit, Unkraut, richtige Behandlung jeder Gemüsesorte – all das scheint eine Wissenschaft für sich zu sein.

Gemeinsam geht es besser
Im Jahr 2010 hat sich die Panikstimmung etwas beruhigt. Dennoch ist allen klar, dass der Zusammenbruch der Systeme keinesfalls vom Tisch ist. Ein Radio-Feature berichtet über eine Dorfgemeinschaft in Norddeutschland, die zusammen in Folientunneln Gemüse anbaut. Das erscheint mir sofort sinnvoll: Arbeit, Kosten und Ertrag zu teilen. Durch einen Flyer erfahre ich, dass just in Freiburg eine solche Garten-Kooperative gegründet werden soll. Mit Freunden gehe ich zu einem Treffen im Öko-Stadtteil Vauban. Zunächst weckt es Erinnerungen an eine Land-WG von Altkommunarden mit hohen Ambitionen, aber schier endlosen Diskussionen ohne Ergebnis. Es gibt interessierte Menschen, aber kein Land. Weil der Ansatz mir nach wie vor gut gefällt, beschließe ich dennoch, Coop-Mitglied zu werden. Dass alles dann so schnell gehen würde, hätte ich nicht erwartet. Schon wenige Wochen später bekomme ich die Nachricht, dass rund 15 Kilometer südlich von Freiburg – also noch gut mit dem Fahrrad erreichbar – Land gepachtet wurde. Auch hat sich die Idee der Garten Coop herumgesprochen, und 200 Mitglieder sind beisammen. Bei der Gründungsversammlung herrscht fröhliche Aufbruchstimmung. Es wird ein Richtwert verkündet, den jedes Mitglied durchschnittlich als monatlichen Beitrag zahlen soll, um Saatgut zu kaufen, Folientunnel zu bauen, die Hofstelle auf Vordermann zu bringen, Bio-Gärtner und Hilfskräfte bezahlen zu können. Im Frühjahr 2011 ist alles vorbereitet, Geräte werden angeschafft, und Gemüse wird für 200 Menschen ausgesät. In Freiburg werden mehrere Verteilpunkte eingerichtet, zu denen die Radfahrer das Gemüse bringen.

Ein soziales Netz entsteht
2012. Ulrike, die Frau, mit der ich mich an diesem Donnerstag beim Jäten unterhalte, hat ein Stadtteilnetzwerk gegründet, das nun schon seit ein paar Jahren besteht. Wir diskutieren darüber, dass Freiburg gerade Transition-Town geworden ist, also Teil der Energiewende-Bewegung.
Ulrike findet, ihr Netzwerk habe ähnliche Ziele. Es sind diese interessanten Gespräche, die dazu beitragen, dass ich mich gerne zu den Einsätzen melde. Vier davon sollte jedes Mitglied im Jahr leisten. Der Jahresbeitrag variiert je nach Einkommen zwischen 300 und 800 Euro; er basiert auf Selbsteinschätzung und wird in einer Bieterrunde festgelegt. Wir teilen gute und auch schlechte Ernten. Am Mittag wird in der improvisierten Bauwagenküche für alle Helfenden gekocht – vegetarisch und selbstredend mit eigenem Gemüse. Da sitzen dann zwischen sechs und fünfzehn Menschen in familiärer Atmosphäre am Tisch. Diejenigen, denen es schwer fällt, lange in gebückter Haltung auf dem Acker zu arbeiten, helfen beim Kochen und Abwaschen. Auch Kinder sind manchmal dabei.
Organisiert werden die Einsätze über die Homepage der Coop. Dort kann man sich in einen Kalender eintragen, so dass die Stammbelegschaft vor Ort weiß, ob genug Hilfe für den Tag da sein wird. Ich habe schon oft gestaunt, wie das funktioniert und wie gelassen damit umgegangen wird. Es passiert immer wieder, dass Mitglieder kurzfristig ihren Dienst absagen – und trotzdem kommen dann letztlich doch genug Menschen und helfen mit. Manchmal gibt es allerdings auch kleine Katastrophen, wie zum Beispiel das »Tomatendesaster«: Am Verteiltag ist die Zeit immer knapp. Das Gemüse muss gewogen, die Menge berechnet, und alles auf die Kisten für die einzelnen Abholstellen verteilt werden. An diesem Tag geht jedoch vieles schief. Die Zahlen stimmen nicht, jemand hat falsch gewogen oder in der Eile etwas durcheinander gebracht. Die Tomaten reichen nicht, doch für eine Neuberechnung ist keine Zeit. Ich bekomme mit, wie eine Frau, den Tränen nahe, mitten in der Arbeit gehen will. Luciano, Hauptkoordinator bei der Verteilung, bleibt ruhig, er findet die richtigen Worte, und zusammen suchen wir eine gute Lösung. Keine Schuldzuweisungen, keine Hektik, niemand geht nach Hause. Die Arbeit geht einfach gut gelaunt weiter. Ich bin beeindruckt angesichts so großer sozialer Kompetenz.

Optimistisch in die Zukunft
Die Coop blickt jetzt auf ihr zweites Jahr zurück. Im ersten war die Kalkulation nicht ganz aufgegangen: Zum Ende des Winters gab es kein Gemüse mehr, was auch an der langen Kälteperiode lag. Wir hatten eine kleine Lücke im Budget, die teilweise durch eine Solidaritätsaktion der Schweizer Zauber-Clowns Gilbert & Oleg geschlossen wurde. Natürlich treten auch andere Schwierigkeiten auf. So kommen etwa nicht alle, wie verabredet, zu ihren vier Einsätzen. Nach zwei Jahren wird sichtbar, welche Mitglieder sich engagieren, wer nie da ist, wer weniger zahlt und wer viel. Wie so oft in Gemeinschaften kommt es zu Diskussionen, die sich um Gerechtigkeit und Solidarität ranken. Es sind viele erfahrene Menschen in der Gruppe, so dass ich uns zutraue, auch hier nachhaltige Lösungen zu finden.
Gemeinsam etwas Sinnvolles zu tun, solidarisch zu teilen, sich eingebunden zu fühlen – das verbindet. So keimt nicht nur Gemüse, sondern auch ein Gemeinschaftsgefühl heran. Freundschaften und gemeinsame Unternehmungen entstehen. Mit der Garten Coop ist Freiburg für mich bunter und interessanter geworden und ich fühle mich mehr unter Gleichgesinnten. •


Patrizia Heise (53) hat Publizistik und Religionswissenschaften studiert und einige Zeit in Gemeinschaften verbracht. Besonders interessiert sie ­dabei der Aspekt der »Qualität im Miteinander«. Nach einer psychotherapeutischen Ausbildung arbeitet sie in eigener Praxis und lebt mit ihrer ­Familie in Freiburg.

Die Gemeinschaftsgärtnerinnen und -gärtner besuchen
www.gartencoop.org

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