Gemeinschaft

Friedensdörfer im Umweltkampf

Weltweit rauben Staudämme Menschen die Lebensgrundlage. Hier ein Beispiel aus Kolumbien – ein Hilferuf.von Irma Fäthke, erschienen in Ausgabe #10/2011
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Mit einer kleinen Gruppe von in der Friedensforschung aktiven Menschen aus Tamera besuchte ich zum dritten Mal die Provinz Córdoba im Nordwesten Kolumbiens. Die Landschaft ist bergig, durchzogen von Tälern mit klaren, sauberen Flüssen, aber der Dschungel ist durch die Landwirtschaft stark geschädigt. Seit 1960 wurde das Gebiet von der Guerilla FARC militärisch beherrscht. In den Jahren nach 1990 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Guerilla, Militär und Paramilitär, worunter vor allem die bäuerliche, größtenteils indigene Bevölkerung zu leiden hatte.
In Córdoba wurde vor zehn Jahren ein Staudammprojekt von rund 4000 Hektar Größe fertiggestellt. Das Kraftwerk wird von dem Unternehmen Urra betrieben, das den Strom zum Teil ins Ausland verkauft. Es ist undurchsichtig, welche Kräfte daran beteiligt sind, aber vermutlich gehört das Paramilitär dazu. Die Auswirkungen des Staudamms auf das indigene Volk der Emberá Katío sowie auf die Bauernfamilien waren verheerend. Es gab Vertreibungen, Ermordungen, Folter, widerständige Menschen verschwanden spurlos, Höfe und Dörfer brannten. Im günstigsten Fall wurden Bauernfamilien in die Kleinstadt Tierra Alta umgesiedelt, doch ohne Land und Arbeitsmöglichkeiten verarmten sie dort völlig.
Vor fünf Jahren haben es 30 Bauernfamilien gewagt, wieder zurückzukehren, da es für sie sonst keine Alternative gibt, außer in den Slums der Großstädte unterzutauchen. Trotz der permanenten Bedrohung wollen sie in ihrer Heimat bleiben. Nun bestellen sie ihr Land, ohne einen legalen Landtitel zu besitzen.
Seit zwei Jahren haben sich vier Ortschaften der Provinz Córdoba dem international bekannten Friedensdorf San José de Apartadó angeschlossen. San José hat seit 1997 den offiziellen Status einer Friedensgemeinde nach den Gesetzen des Interamerikanischen Gerichtshofs. Das heißt, sie gehen den Weg der absoluten Gewaltfreiheit und nehmen keinerlei Vergünstigungen an, die mit den bewaffneten Gruppen wie Militär, Paramilitär, Polizei und Guerilla in Verbindung stehen. Zu ihren Prinzipien gehört das absolute Verbot von Drogen, so auch der Anbau von Kokapflanzen. Sich dem zu verweigern, ist in dieser Region sehr konfliktträchtig, da ­sowohl Paramilitär als auch Guerilla Bauern und Indigene überreden, wenn nicht gar zwingen, Kokaplantagen anzulegen.
Am 1. September 2007 erhielten die Bewohner San Josés den Aachener Friedenspreis als Auszeichnung für ihre beispielhaften und konsequenten Friedensbemühungen in dieser Konfliktregion. Seit ihrer Gründung 1997 sind mehr als 180 ihrer Mitglieder ermordet worden – sie leben unter ständiger Bedrohung, und dennoch folgen sie ihren Prinzipien. Einen gewissen Schutz könnte das zunehmende Interesse der internationalen Öffentlichkeit bieten.

Den nächsten Staudamm verhindern!
Wir besuchten die drei Dörfer Alto Joaquín, Puerto Nuevo und Las Claras. Aus diesen Dörfern haben sich zehn Familien der Friedensgemeinde San José de Apartadó angeschlossen.
Aktuell bedroht die geplante zweite Staustufe des Rio Sinu die Dörfer. Eine 100 Meter hohe Mauer soll gebaut werden, und drei weitere Flüsse will man aufstauen. Hierfür soll ein Gebiet von rund 15 000 Hektar überschwemmt werden. Mit den Bauern der Friedensgemeinde fuhren wir mit dem Boot flussaufwärts, um das betroffene Land mit eigenen Augen zu sehen. Wir haben die Schönheit der Flusslandschaft erlebt, an deren Ufern die Emberá Katío in ihren typischen Stelzenhäusern leben. An den steilen Hängen haben sie kleine Felder angelegt, die ihnen vorwiegend zur Selbstversorgung dienen. Überall stehen große Schilder, die besagen, dass das Land Eigentum der Betreibergesellschaft Urra sei. Unter den bäuerlichen und indigenen Familien herrschen große Angst und Unsicherheit. Die Friedensgemeinde ist jedoch die einzige, die sich dem Staudammprojekt deutlich widersetzt. Im Ankauf kommunitären Lands sieht sie eine Chance, die Zerstörung natürlicher und menschlicher Lebensgrundlagen zu verhindern. Schon jetzt haben sich die Lebensbedingungen um den ersten Stausee massiv geändert. Die Gegend hat sich deutlich erwärmt, es gibt viel mehr Moskitos und somit vermehrt Malaria, Dengue- und Gelb­fieber. Dennoch wollen die Menschen hier leben und ihre Felder mit ­Zuckerrohr, Kakao, Mais und Fruchtbäumen bestellen. Der Reis­anbau ist sehr ertragreich. Ziele der Familien sind ein hohes Maß an Selbstversorgung, die Pflege der Landschaft, die Wiederaufforstung und ein regionaler Austauschmarkt von Produkten.
Wenn Urra seine Pläne verwirklicht, werden einmal mehr nur wenige den großen Profit haben. Die Armen, die vorher auf dem Land ihr Auskommen hatten, werden nach den Vertreibungen in den Slums der Städte das tiefe Elend kennenlernen. Das Zynischste an dieser Geschichte ist, dass die Regierung Kolumbiens die ganze Region zum Naturreservat erklären will. Damit stünde die Zwangsumsiedelung der Familien auf gesetzlicher Grundlage. Die Sorge für das Reservat will die Regierung dann den multinationalen Firmen übertragen, die es ihrerseits für den Tourismus öffnen werden.

Den Friedensprozess unterstützen
Im Juli kamen zehn Aktivisten aus dem Friedensdorf San José de Apartadó nach Tamera, um hier fünf Wochen lang eine solartechnische Ausbildung zu machen, zu lernen, wie man Wasserlandschaften anlegt, und um soziales Wissen über Gemeinschaftsaufbau zu erwerben. Es war für uns eine Freude, dass wir diesen Menschen in ihrem ständig von Mord bedrohten Leben eine Zeit der Ruhe schenken konnten.
Es gibt viele Friedensinitiativen weltweit, doch nur wenige finden die nötige Unterstützung hier bei uns. In diesem Fall ist es einfach, sich zu engagieren: Helfen Sie mit, den Staudamm »Urra 2« zu verhindern, indem Sie anderen davon erzählen und für Unterstützung der Friedensdörfer in Kolumbien werben. Protestieren Sie beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das dem kolumbianischen Militär 500 000 Euro – getarnt als »Hilfe für soziale Projekte« – geben will. Und Sie können Geld für den dringend nötigen Landkauf spenden.
Für weitere Informationen und Anregungen können Sie mich gerne kontaktieren.  


Irma Fäthke (66), ehemalige Tierärztin mit Schwerpunkt Naturheilkunde, engagiert sich als Friedens- und Umweltaktivistin in Nicaragua, Kolumbien und Kurdistan. Nach zehn Jahren im Ökodorf Sieben Linden lebt sie seit 2008 im Friedensforschungszentrum Tamera. irma.faethke@gmx.net

Kolumbien liegt heute vor unserer Haustür. So ist Hilfe möglich
www.cdpsanjose.org (spanisch)
www.tamera.org
Protestieren und spenden:
Protestbriefe an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit an:
BMZ, Referat Kolumbien, T. Bodenschatz, Adenauer­allee 139–141, 53113 Bonn
Telefon/Fax: (02 28) 9 95 35 31 96, thomas.bodenschatz@bmz.bund.de
Spenden für Landankauf bitte auf das Konto:
»Grace – Stiftung zur Humanisierung des Geldes«, Raiffeisenbank Zürich,
 Konto: 9 218 869, IBAN: CH98 8148 7000 0092 18869, BIC: RAIFCH22

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