Titelthema

Eine Oper für Afrika

Christoph Schlingensief und sein Theaterstück »Via Intolleranza II«.von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #9/2011
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Auf der Bühne singt ein schöner, schwarzer Mann zur Gitarre schön klingende ­afrikanische Lieder. Filmsequenzen von afri­ka­nischen Landschaften flirren über eine dünne Gaze und bestätigen das vertraute Afrikabild. Kerstin Grassmann – eine alte Bekannte aus der Schlingensief’schen Theaterfamilie – klatscht dazu rhythmisch falsch in die Hände. Schon klatschen die ersten im Publikum mit, doch wir ahnen bereits die Persiflage.
»Via Intolleranza II«, die letzte Theater­inszenierung Christoph Schlingensiefs, ist eine Projektstudie zu seiner Idee, in Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, ein Opernhaus zu bauen. Er stieß auf Unverständnis und Kritik, die Schlingensief noch steigerte mit seiner Losung: »Beklaut Afrika!« Nur dachte er dabei nicht an wirtschaftliche Rohstoffe, sondern an Kultur, und so hieß es fortan: »Von Afrika lernen!«
Zehn Künstler aus Burkina Faso singen, tanzen, parodieren und improvisieren für die Weltpremiere des Theaterstücks im Mai 2010 in Brüssel, denn durch den Ausbruch des unaussprechlichen Vulkans aus Island hatten sich ihre Flüge verschoben und sich die Probenzeit auf nur vierzehn Tage verkürzt. »Die sind klasse! Die brauchen mich gar nicht«, begeisterte sich Christoph Schlingensief. 
Ein Jahr später beim Theatertreffen im Mai 2011 in Berlin stimmt das künstlerische Ensemble bei der Premierenfeier spontan einen Sprechgesang an: »Il n’est pas mort, il n’est pas mort!« 
Nein, er ist nicht tot! Der geniale Künstler und Menschenfreund wirkt nun in der afrikanischen Tradition als Ahne, und so hat es wohl auch Christoph Schlingensief selbst verstanden, als er zwei Tage vor ­seinem Tod am 21. August 2010 noch eine ­E-Mail schreibt: »Mit der Eröffnung, das ­regele ich dann von oben!«
Er sah sein eigenes Engagement in Burkina Faso kritisch, und im Stück selbst ruft er – in der eingeblendeten Videoaufzeichnung der Uraufführung – nach dem rettenden Taxi in die rundumversicherte deutsche Heimat: »Nix wie weg hier!« Es waren zwar die von weißen Europäern geprägten afrikanischen Bilder, die ihn verlockten. Aber es sind die Afrikaner selbst, die ihn nicht loslassen. »Die lieben mich wirklich!« sind seine letzten Worte, bevor er die Bühne des Theaters und des Lebens verlässt.
Die Idee eines Operndorfs in Burkina Faso entwickelt als soziale Plastik ihre ­eigene Dynamik, gefüllt mit den Ideen der Menschen, die weiter an ihr arbeiten und in ihr leben. Und die Idee konkretisiert sich: Im März haben in Ouagadougou »Dorf­gespräche« als Zukunftswerkstatt über die Ausgestaltung des Operndorfs begonnen. Im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale wurden sie fortgesetzt und sollen in Zukunft in Afrika und Europa beständig weitergeführt werden. Für den Theaterregisseur und Schriftsteller Henning Mankell ist es ein Haus, das für jeden offen ist, »ein Haus, in dem Afrikaner ihre eigenen Geschichten ­erzählen können.«  

www.operndorf-afrika.com

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