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Die Flüchtlingsrevolution [Buchbesprechung]

von Kristina Werth, erschienen in Ausgabe #42/2017
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Mit dem Buch »Die Flüchtlingsrevolution« greift Marc Engelhardt als Herausgeber ein hochaktuelles Thema auf, das durch die »Weltreporter« – das größte Netzwerk deutschsprachiger Auslandskorrespondenten – vermittelt wird. Ich hatte ein Buch erwartet, in dem die Flüchtlingsdebatte mittels zahlloser Fach­begriffe kompliziert aufgerollt wird.
Stattdessen taucht der Leser oder die Leserin gleich mit dem Prolog in die Lebensrealität der Syrerin Ameena A. ein. Hier wird fühlbar, mit wieviel Angst ein Mensch inmitten von Bomben und Heimat-zerstörung konfrontiert ist. Die 21 folgenden Kapitel berichten von persönlichen und zutiefst menschlichen Fluchtschicksalen aus aller Welt: von Syrien in den Libanon, von Eritrea in die Schweiz, vom Kongo nach Südafrika … Gelungen greifen die Geschichten mit scharfsinnigen Analysen zu Fluchtursachen und -hintergründen ineinander.
Wir lesen von Schicksalsschlägen und Hoffnungslosigkeit ebenso wie von Hilfsbereitschaft und innovativen Wegen, mit den für alle Seiten herausfordernden Situationen in aller Welt umzugehen. Durch die intime Darstellung dieser Lebenswirklichkeiten wird die Trennung zwischen Leserin und »dem Flüchtenden« zeitweise aufgehoben. Immer wieder werden wir in dem Buch daran erinnert, dass viele unserer Eltern oder Großeltern selbst auf der Flucht waren und sich glücklich schätzen konnten, wenn sie dort, wo sie ankamen, willkommengeheißen wurden. Oder dass jene, die im »Dritten Reich« anderen zur Flucht verhalfen, heute als Helden gefeiert werden.
Eindrucksvoll ist die Geschichte von den Fischern auf Lesbos, deren Leben sich durch die vielen zu rettenden und oft nicht mehr zu rettenden Menschenleben im Mittelmeer veränderte, die sich alleingelassen fühlen von dem Europa, auf das sie einst gesetzt hatten, und die dennoch seit ihrem gemeinsamen Einsatz für Menschenleben an ein anderes Europa glauben, an eines, »das seine Probleme solidarisch löst«.
Die Autorinnen und Autoren des Buchs sehen darin die Chance der Zeit: Sie betonen, wie notwendig und längst überfällig eine weltweit verantwortungsvolle Herangehensweise an die Flüchtlingsproblematik ist. Flüchtlingspolitik sei gleichbedeutend mit einer enkeltauglichen, gerechten Gesellschaftspolitik.
»Die Flüchtlingsrevolution« bringt eines deutlich auf den Punkt: Mit 65 Millionen Menschen, die sich 2016 weltweit zur Flucht gezwungen sahen, und einer Prognose von 321 Millionen Flüchtlingen im Jahr 2050 ist aus der Krise längst eine revolutionäre Situation geworden. Herausgeber Marc Engelhardt ruft in dem 350 Seiten starken Buch dazu auf, die tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaften in die Hand zu nehmen, so dass wir alle davon profitieren können. ◆ 


Die Flüchtlingsrevolution
Wie die neue Völkerwanderung die ganze Welt verändert.
Marc Engelhardt (Hrsg.)
Pantheon, 2016
351 Seiten
16,99 Euro

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