Buchtipps

Körper und Erde (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #38/2016
Photo

Als ich Wendell Berry für mich entdeckte, fragte ich mich: »Warum erst jetzt?!« Obwohl Berry in den USA als Vordenker der Umweltbewegung gilt und über vierzig Bücher mit Romanen, Essays und Gedichten veröffentlicht hat, ist er bei uns nahezu unbekannt. Dies erstaunt, denn es gibt keinen vergleichbaren Autor deutscher Sprache. Berry ist Schriftsteller und Landwirt durch und durch. In jede Zeile gibt er sich mit all seiner Erfahrung, seiner genauen Beo­b­achtungsgabe, mit der Summe seines Menschseins hinein. Als Oya-Leser sind Sie klar im Vorteil, denn Ihnen könnte Berry zumindest aus seinen Beiträgen für »Die Kraft der Vision« in den Ausgaben 29 und 35 bekannt sein. Bislang wurden nur zwei seiner Bücher ins Deutsche übertragen; beide sind inzwischen vergriffen. Mit der Übersetzung dieses dritten – »Körper und Erde« – habe ich mir einen Herzenswunsch erfüllt.
In seinem poetischen Essay beschreibt Berry, wie Extraktivismus und Verwertungslogik in modernen Gesellschaften westlicher Prägung zerschlagen, was an sich eine Einheit bildet: Körper und Seele, Mann und Frau, Ehe und Gemeinschaft, Gemeinschaft und Erde, Erde und Körper. Zuspruch und Inspiration findet Berry bei Homer, Shakespeare, William Blake, William Butler Yeats und anderen weltliterarischen Ahnen. Mit »Ehe« sind übrigens nicht juristischer Familienstand oder patriarchales Herrschaftsinstrument gemeint, sondern lebendiger Ausdruck eines Bunds, der zwei Menschen nicht nur Verantwortung füreinander, sondern auch für die menschliche und die mehr-als-menschliche Welt übernehmen lässt.
Mit industriemodernem Funktionalismus und postmodernem Relativismus hat das freilich wenig zu tun, dennoch sind Berrys Betrachtungen höchst zeitgemäß: Dass dieser Essay erstmals vor knapp vierzig Jahren – in »The Unsettling of America« – erschien, merkt man ihm nicht an. Auch wenn Berry die Drastik mancher Entwicklungen, die wir heute unter dem Begriff »Klimawandel« zusammenfassen, nicht gekannt haben mag, ist sein stringent und eindringlich vorgetragenes Argument von unmittelbarer Relevanz für eine heutige Leserschaft: Eine Gesellschaft, die nicht mit dem Boden verbunden ist, auf dem sie gründet, verliert die Bodenhaftung und wird krank – Ganzheit und Genesung entstehen, indem Leben und Essen, Essen und Arbeiten, Arbeiten und Lieben wieder miteinander verbunden werden. – So einfach und so komplex sind die Aufgaben, vor die uns Berrys klarsichtiger Text stellt. 

Körper und Erde
Essay über gutes Menschsein.
Wendell Berry
thinkOya, 2016, 96 Seiten
10,00 Euro

 

weitere Artikel aus Ausgabe #38

Photo
von Anke Caspar-Jürgens

Leitwölfe sein (Buchbesprechung)

Für sein Buch »Leitwölfe sein«, in dem es Jesper Juul um Beziehung in der Familie geht, hätte wohl kaum ein provozierenderer Titel gefunden werden können. Auch der Untertitel »Liebevolle Führung in der Familie« reicht nicht für eine

Photo
Gemeinschaftvon Dieter Halbach

Was ist der nächste Schritt?

Eine Gemeinschaft muss eine Vision haben! Bei einer Entscheidung müssen alle dafür sein! Alle müssen gleich verantwortlich sein! – Solche gängigen Grundsätze wurden nun bei ­einem besonderen Gemeinschaftstreffen in Frage gestellt. Jenseits von plakativen Ideen ging es bei dieser Werkstatt jedoch vor allem um eine offene Suche nach den nächsten Entwicklungsschritten für Gemeinschaften.

Photo
Permakulturvon Rainer Sagawe

Kompost ist Silber, Terra Preta ist Gold!

Die Argumentation im Artikel von Holger Baumann, wonach in hiesigen Breitengraden der Einsatz von Terra preta – »schwarzer Erde« – mit einem Anteil Holzkohlepulver bei der gärtnerischen Selbstversorgung unnötig sei, hat in einigen Punkten den Widerspruch des Terra-Preta-Praktikers und -Experten Rainer Sagawe hervorgerufen. Hier erklärt er, warum die Herstellung von Schwarzerde im Vergleich zu erfolgreicher Kompostarbeit durchaus lohnt.

Ausgabe #38
Nachbarschaft

Cover OYA-Ausgabe 38
Neuigkeiten aus der Redaktion