Titelthema

Wir bauen unser Wohnen!

Ohne handwerkliche Erfahrung versucht sich ein junges Paar am Bau eines ­ambitionierten Kleinsthauses nach baubiologischen Prinzipien.von Alex Capistran, erschienen in Ausgabe #36/2016
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»Ursprünglich hatten wir vor allem Lust, gemeinsam etwas Kreatives zu gestalten«, sagt Sina. »Erst nach dem Besuch einer Ausstellung zum Thema ›Symbiose von Mensch und Natur‹ keimte in uns die Idee auf, das Motiv auf unser Wohnen anzuwenden – und schon war die Idee vom gemeinsamen Hausbau geboren.«
Dass Sina und ihr Freund Azad jetzt diesen Plan in die Tat umsetzen, versetzt beide immer wieder abwechselnd in Unglauben und Jubelstimmung. Es geht wahrlich um ein Großprojekt: Auf einem Anhänger soll ein Holzhaus mit allen denkbaren ökologischen und gestalterischen Finessen als Wohnstätte entstehen. Sina studiert für das Grundschullehramt, sie liebt das Gestalten; Azad studiert Philosophie und sucht nach Möglichkeiten, das Gelesene in die Welt zu säen. Handwerklich sind beide unbeleckt. Wie, um Himmels Willen, wollen die beiden ein Haus bauen?

Aus Museum und Bibliothek werden Hammer und Werkbank
»Für mich hat das Ganze im Kopf angefangen«, berichtet Azad. »Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe jede Menge Bücher ausgeliehen: Architekturtheorie, ­Ingenieurswesen, Holzbau etc. Nebenbei sah ich mir Videos über Fachwerkbau an und war im Internet auf Blogs über ­autarkes Wohnen unterwegs.« Selbstverständlich ist das Projekt philosophisch motiviert: »Heideggers Aufsatz ›Bauen Wohnen Denken‹ hat uns stark beeinflusst. Dort sagt er, dass Wohnen die eigentliche Weise unseres Seins sei: ›Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.‹ Dies ist unweigerlich ein Prozess; wir bauen nicht in erster Linie ein statisches Haus, wir bauen unser Wohnen.« Ein Haus ist ein bewegtes Bündel an Beziehungen, Gewohnheiten und Geschichten – schon lange bevor es steht. Noch bevor überhaupt gebaut wurde, legten beide die Telefonhörer nicht mehr aus der Hand: Drei Menschen hatten sie ausfindig gemacht, die in Deutschland schon fahrbare Kleinsthäuser – auch als »Tiny Houses« bekannt – gebaut hatten. Sie wurden ebenso kontaktiert und besucht wie die zwei Naturbaustoffhändler aus der Umgebung. Mit zunehmender Natürlichkeit der Baustoffe veränderte sich auch die Atmosphäre der Beratung positiv: »Der Händler, dem wir den Metall-Hänger abkauften, schien nur auf Profit aus zu sein – der Kontakt zu ihm war sehr unangenehm und deprimierend. Die Naturbaustoffhändler dagegen woben uns in ein Geflecht aus Widmung und Verbundenheit ein. Daneben tat es gut, Leute kennenzulernen, die es bereits geschafft hatten, ähnlich motiviert waren, uns aber auch ganz pragmatische Tipps zur TÜV-Prüfung geben konnten. Dennoch: Was wir vorhaben, hat unseres Wissens noch keiner versucht – ein baubiologisch informiertes Kleinsthaus auf Rädern.«

Vier Wände, vier Räder und fast vier Tonnen schwer
Mittlerweile wird jedes Kleinsthaus Tiny House genannt; ursprünglich bezeichnete der Begriff in den USA fahrbare Wohnhäuser, die kleiner sind als offiziell genehmigungsfähige. Die Räder unterm Fußboden ermöglichen die Legalisierung. Sina und Azad haben noch keinen festen Wohnort, und so deklarieren auch sie ihr Haus als Anhänger. In Deutschland ist die Gewichtsgrenze, bis zu der Anhänger mit PKW-Führerschein gezogen werden dürfen, sehr niedrig: 3,5 Tonnen. Aus diesem Grund steifen die Erbauer rollbarer Kleinsthäuser ihre Wände oft mit leichten OSB-Platten aus. Das war für Azad und Sina keine Option, denn diese enthalten giftige Leime. »Wir stecken in einem Dilemma«, erklärt Sina. »3,5 Tonnen darf das Haus maximal wiegen, das ist aber selbst mit konventionellen Materialien schwer einzuhalten.«
Sechs Meter lang, vier Meter hoch, alles – bis auf das Anhängergestell – aus Fichte als Grundbaustoff. Die Wand ist ein acht Zentimeter starkes Fachwerk, das von innen als Regal genutzt werden kann. Hinter einer Schicht Malerleinwand sitzt noch eine Sechs-Zentimeter-Aufsparrendämmung aus Hanf. Windbremse und Profilholzfassade schließen die Wand ab. Der Boden verlangt nach einem anderen Dämmmaterial, da man auf Hanf nicht gehen kann und zusätzliche Holzbretter zu gewichtig wären. Daher ziert eine Sechs-Zentimeter-Korkschicht den knapp zwei Zentimeter starken Holzunterboden. Es wird ein großer Raum werden, mit einem kleinen Bad-Abteil und einem zweiten Geschoß, das von Sina und Azad liebevoll »unser Loft« genannt wird. Im nur einen Meter hohen Loft soll man sitzen können. Eine Treppe aus wenigen, hohen Stufen führt hinauf. Die unterste ist mobil und kann als Sitzbank genutzt werden, die zweitunterste als Tisch, der Treppenschrank bildet den Hauptstauraum. Das Bett wird abends von der Decke heruntergekurbelt. Es gibt einen Kamin und eine Küchenzeile. Auffällig ist die große Fensterfläche von gut zehn Quadratmetern, die die Verschmelzung mit der Natur optisch perfekt machen soll. Auf dem Flachdach, das als Dachterrasse genutzt werden kann, werden auch Photovoltaik­platten ihren Platz finden.

Federleicht-ernüchternde Prozesse
Vier Wochen lang haben die beiden im Spätsommer gesägt, genagelt und gehämmert. Dabei wurden sie gelegentlich von Verwandten unterstützt, vor allem von Sinas Bruder Timo. Mittlerweile sind alle Wände, der Boden und das Dach in der Grundkonstruktion fertig. Gebaut wurde im Innenhof von Azads Eltern im Westerwald. Bisher haben die beiden um die 7000 Euro für ihr Haus ausgegeben; sie rechnen insgesamt mit 10 000 Euro Kosten. Wenn junge, handwerklich unerfahrene Menschen so viel Geld in die Hand nehmen, haftet jedem Handgriff eine Spur von Zweifel an. »Wir waren mehrfach kurz davor aufzugeben«, sagen beide einmütig. »Jeden Tag nimmst du dir zuviel vor, jedes neue Material, jedes Werkzeug gebiert ganz eigene Probleme, die du neu lösen musst. Manchmal sind es simp­le Planungsfehler: Am Ende wollten wir die Wände aufrichten, hatten zwei davon aber 16 Zentimeter zu lang gebaut.«
Vor lauter Konzentration konnten die beiden die eigenen Lernprozesse in der Bauphase kaum gebührend wertschätzen. Die verfügbare Zeit war vom Studium eingeschränkt, und so konnten sie die Schönheit ihrer Baureise erst langsam erahnen: »In dem autodidaktischen Zugang steckt auch etwas Leichtes, Unbeschwertes – wir müssen kreativ sein, weil wir keine Routine haben.« Mit der Zeit veränderte sich die gewohnte Weltwahrnehmung: »Wir wissen mittlerweile, wie Haustechnik funktioniert, und haben das Gefühl, in Wände hinein­sehen zu können.« Bei Sina stellt sich mehr und mehr die Gelassenheit ein, dass alles zu einem guten Ende finden wird – oder selbst ein Scheitern wertvoll sein könnte. Auch Azad kann inzwischen zuweilen aus der Vogelperspektive auf seinen Nestbau schauen: »Der Bauprozess bewirkt bei mir eine große Wertschätzung der Grenzen, die die Welt mir aufzeigt. Jetzt – nach der Erdungserfahrung des Hausbaus – fühle ich mich in einem angenehmen ›Dazwischen‹, zwischen Erdung und Ideenhimmel.« Langsam dämmert es beiden: »Wenn am Ende alles steht, werden wir eine ganz andere Geschichte erzählen als heute.«
Vielen ökologisch motivierten Menschen riecht der Trend zu Tiny Houses zu sehr nach neoliberaler Vereinzelung. Das fragen sich auch unsere Nestbauer: »Was berechtigt uns überhaupt dazu, dieses Haus zu bauen und damit so sehr ins Private zu gehen?« Häufig sind Tiny Houses zwar antibürgerlich motiviert, aber Aussteiger-Romantik und Spießigkeit liegen nicht weit voneinander entfernt. »So richtig zum ­Leben kommt das Haus erst in Gemeinschaft«, sind sich beide einig. »Es bildet eine gesunde und kraftspendende Basis für unser Wirken als Einzelpersonen, aber eigentlich ist es ein sehr sozialer Ort: Im Gegensatz zu herkömmlichen Wohnungen ist es so klein, dass ein geteiltes Draußen und Gemeinschaftsräume unvermeidlich sind.« Ganz klein wird ganz groß – hoffentlich: »Für uns ist das Haus Politikum, Ästhetikum und Philosophicum zugleich.« •


Alex Capistran (25) lebt in Leipzig und engagiert sich für selbstbestimmte Bildung, Theater und Jazz. Er macht an der Cusanus Hochschule seinen Master in Philosophie und gibt mit dem Team von gewagt.info Workshops an Schulen.


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