Gemeinschaft

Noch immer zwei Welten

Kommunaler Klimaschutz zwischen ­Gemeinschaft und Gemeinde.
von Marcus Andreas, erschienen in Ausgabe #35/2015
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Vor nicht allzu langer Zeit lief ich in ­Sieben Linden morgens noch barfuß zur Arbeit durchs hohe Gras; mittags kamen wir zum leckeren vegan-vegetarischen Essen zusammen, und nachmittags versüßte ich mir meinen Lupinenkaffee mit Hafermilch oder fuhr ins benachbarte Poppau. Heute schreite ich morgens in schicken Schuhen ins Büro; mittags sucht unser Team am Potsdamer Platz verzweifelt nach etwas Charmantem zu essen (von Bio ganz zu schweigen), und nachmittags entfliehe ich den Büros für einen Espresso beim Italiener um die Ecke.

Früher bestand meine Arbeit darin, ­Gemeinschaften zu erforschen, heute arbeite ich im Umfeld des Umweltministe­riums (BMUB). Was wie zwei Welten wirkt, weist doch einen Zusammenhang auf: Es geht um Themen wie Klima, Nachhaltigkeit und Gesellschaftswandel. Aber wie unterschiedlich diese angegangen werden! Und wie wenig man voneinander weiß!
Als ich 2014 meinen neuen Job antrat, habe ich mich erst einmal mit den Begriffen vertan. »Kommunaler Klimaschutz« hieß mein neues Arbeitsfeld. Als ehemaliger Gemeinschaftsforscher assoziierte ich das mit Kommunen wie der in Niederkaufungen und mit Ökodörfern wie Sieben Linden. Solche Gemeinschaften können ja in CO2-Studien auf sehr beeindruckende Ergebnisse verweisen (auch wenn diese bereits etwas Staub angesetzt haben – so stammt das Forschungsprojekt »Gemeinschaftliche Lebens- und Wirtschaftsweisen und ihre Umweltrelevanz« der Universität Kassel bereits aus dem Jahr 2004).
Aber mit »kommunal« war hier nun freilich etwas anderes gemeint, nämlich die mehr als 11 000 Städte, Gemeinden und Landkreise Deutschlands, insbesondere ihre Verwaltungen.
Manche dieser Kommunen sind im Klimaschutz sehr engagiert: Städte wie Freiburg, Hannover und München, Gemeinden wie Steinfurt und Herrnhut oder Landkreise wie Marburg-Biedenkopf. Sie sind oft nicht nur vor Ort aktiv, sondern auch Teil überregionaler Netzwerke, wie des »Klima-Bündnisses der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder« oder von »ICLEI – Local Governments for Sustainability«. Andere Kommunen haben das Thema Klimaschutz noch nicht für sich entdeckt, und ohne entsprechende Gesetze kann ihnen der Bund das auch nicht vorschreiben. Dabei ist er auf ihre Mitwirkung angewiesen, wenn Deutschland bis 2020 seinen Ausstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren will – im Vergleich zu 1990. Um möglichst alle Kommunen für den Klimaschutz zu gewinnen, werden sie deshalb seit 2008 durch die Nationale Klimaschutzinitiative (NKI) gefördert. Die sogenannte Kommunalrichtlinie der NKI haben bislang mehr als ein Viertel aller deutschen Kommunen in Anspruch genommen. Dabei erhalten sie kostenlose Beratung durch das »Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz« und können sich für viele geförderte Maßnahmen – von der Umstellung auf LED-Straßenbeleuchtung bis zur Erstellung umfangreicher Klimaschutzkonzepte – bewerben. Letztere sollen von einem neuen Berufsstand, den »Klimaschutz­manager/innen«, umgesetzt werden. Dann gibt es auch noch die »Masterplan-Kommunen«. Mit Unterstützung des Bundes wollen die derzeit 19 Kommunen ihre Emissionen bis 2050 gar um 95 Prozent senken. Laut Bundesumweltministerin Barbara Hendricks stehen sie damit für »Premium-Leistung im kommunalen Klimaschutz«. Auf nationaler Ebene sind sie damit die besten Beispiele, wie der Klimaschutz vor Ort umgesetzt werden kann.
Bewohnerinnen und Bewohner von Sieben Linden und anderen klimafreundlichen Gemeinschaften mögen an dieser Stelle schmunzeln. Ist die Existenz ihrer Projekte nicht seit langem schon ein konkretes Angebot, die Dinge anders anzugehen? Haben sie – mit all den Strohballenhäusern, den Komposttoiletten, dem Carsharing und vielem mehr – nicht ganze Lebens- und Dorfkonzepte auf eine enkeltaugliche Zukunft ausgerichtet? Stehen sie nicht schon seit Jahrzehnten für »Premium-Leistung« in Nachhaltigkeit? Je nachdem, mit wem ich im Ministerium spreche, ist dort mitunter sogar von der »Avantgarde« zu hören, die sich in Ökodörfern und verwandten Projekten tummele. Aber, ach, so weit entfernt scheinen diese Welten voneinander!

Ökodörfer, die (heimliche) Avantgarde
Als Neuling im Kommunalen Klimaschutz war es für mich beeindruckend, dass auf offizieller Seite so viel passiert. In Gemeinschaften hatte ich selten von der Arbeit gehört, die in Ministerien, Ämtern und Verwaltungen geleistet wird – und spätestens seit dem beschämenden Ergebnis des Klimagipfels in Kopenhagen von 2009 lag es ja auch tatsächlich noch näher als sonst, die Dinge lieber selbst in die Hand zu nehmen. Zum Teil scheint die Skepsis gegenüber der Politik berechtigt. Dort, wo ich als Berater versuche, den Fokus von der reinen Einsparung von Treibhausgasen zu einer umfassenderen Transformation zu erweitern, stoße ich meist an Grenzen. Visionen wie eine »Kultur des Klimaschutzes« bilden eine Art Tabu; man kann sich solchen Ideen nur ganz vorsichtig annähern. Im Ministerium ist die Angst verbreitet, irgendetwas falsch zu machen, sich zu weit aus einem Fenster zu lehnen – aber deshalb lieber nichts zu machen, kann natürlich auch nicht richtig sein. Aus guten Gründen setzen viele Regularien sinnvolle Beschränkungen – immerhin werden Steuergelder ausgegeben. Doch manchmal sitze ich auf dem rückenschonenden Sitzball meines Kollegen, starre auf meine Büropflanze und vermisse etwas vom Mut und der Freiheit der Gemeinschaften.

Wie geht der Dialog zwischen den Welten?
Mich interessiert, wo sich die beiden Welten begegnen können. Dafür rufe ich Steffen Andreae an, denn er ist einer der umweltpolitisch engagiertesten Gemeinschaftsbewohner, die ich kenne. Nach vielen Jahren in der Kommune Niederkaufungen wohnt Steffen heute nicht weit entfernt in der kleinen Kommune Lossehof. Zugleich ist er Vorsitzender der Fraktion von »Grüne Linke Liste Kaufungen«. Seiner Erfahrung nach ist Klimaschutzpolitik als Thema noch nicht wirklich in der Kommunalpolitik angekommen, oftmals stünden dafür auch schlicht keine Mittel bereit. In Kaufungen liege beispielsweise ein gefördertes Klima-schutzkonzept vor, doch die Gemeinde könne den verbleibenden Eigenanteil zur Finanzierung der Klimaschutzmanagerin nicht aufbringen. Noch größer sind ­Steffen zufolge allerdings die Probleme »in den Köpfen«. So beinhalte das Kaufunger Konzept eine Reihe von Maßnahmen, die quasi kostenlos wären – etwa die Einrichtung von »Mitnahmepunkten«, von denen aus die Bürger sich gegenseitig mit ihren Autos auflesen könnten, also eine Art etabliertes Trampen. Weil diese Vorschläge aber von der falschen Fraktion kamen, finden sie keine Mehrheit im Gemeinderat. Insgesamt profitiere Kaufungen nicht von dem, was die Gemeinschaften und Ökodörfer tun und in Bezug auf Klimaschutz können.
Aus Steffens Sicht sind allerdings auch die Gemeinschaften »sehr, sehr zögerlich« in ihrem Angebot. Zum Teil liege dies an der Skepsis gegenüber dem hierarchischen Verwaltungssystem; es gebe aber auch ein Bildungsdefizit auf beiden Seiten. Alle würden annehmen, es sei nicht notwendig, sich in Sachen Klimaschutz »miteinander auseinanderzusetzen«. Auf beiden Seiten hätten viele schlicht noch nicht verstanden, »dass sie selber wesentliche Akteure« im Klimaschutz und darüber hinaus im gesellschaftlichen Wandel seien. Überall, so Stefan, könnten Menschen ihr Potenzial ausleben –
wenn man ihnen nur Räume zum Nachdenken und förderliche Arbeitssituationen schüfe und wenn die Leute sich in Themen hineinarbeiten und »rumspinnen« dürften. Bei entsprechender Unterstützung durch die Verwaltung kämen verschiedenartige Akteure dann hoffentlich auch auf die Idee, miteinander zu kooperieren.
Gesellschaftliche (Gesamt-)Transformation ist umfassender als »nur« kommunaler Klimaschutz. Dennoch schlage ich allen ambitionierten Gemeinschaftsprojekten vor, sich in diesem speziellen Politik- und Gesellschaftsfeld aktiv einzubringen. Es gilt, gemeinsam den Anspruch zu steigern und den Horizont zu erweitern! Die Gelegenheit ist günstig: Die EU zeigt ein erhöhtes Inter-esse an Gemeinschaftsinitiativen, sichtbar etwa im Forschungsprojekt TESS (Towards European Societal Sustainability). Dieses erforscht die Rolle gemeinschaftsbasierter Initiativen bei der Erschaffung eines nachhaltigen, CO2-reduzierten Lebensstils (siehe auch das Gespräch in Oya Ausgabe 25). Auf der Eingangsseite der TESS-Homepage prangt das bekannte, der Ethnologin Margaret Mead zugeschriebene Zitat: »Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.«

Gesellschaftliche Transformation betrifft nicht nur das Klima
Im November steht nun die internationale Klimaschutzkonferenz COP21 in Paris bevor, die in ihrer Bedeutung mit der von Kopenhagen 2009 vergleichbar ist. Vorab hob das Bundesumweltministerium Anfang Oktober mit der Ausrichtung der »International Conference on Climate Action« (ICCA2015) im Schloss Herrenhausen bei Hannover explizit die positiven Beispiele von Kommunen hervor. Zeitgleich fand nebenan die »UnKonferenz« des Hannoveraner Transition-Netzwerks statt. Spannend wurde es, wenn Gäste zwischen den Welten wanderten. Da gab es eine »Schnippelparty« im Ehrenhof des Schlosses, da zog abends eine fast zwanzigköpfige Blaskapelle in den Festsaal ein – und da war natürlich Rob Hopkins, Gründer des internationalen Transition Netzwerks und als solcher Ehrengast beider Konferenzen. Auf diese Weise kommt es zu Begegnungen – aber wir brauchen mehr davon!
Der Abschluss der ICCA2015 wurde von drei Jugendlichen eingeleitet. Sie hatten an eines ihrer Plakate einen Spiegel geklebt: Da sollte am Ende jeder von uns Politikerinnen, Beratern und Praktikerinnen selbst hineinblicken und den eigenen Beitrag erkennen.
Ich selbst habe ich mich inzwischen an den Begriff »Kommunaler Klimaschutz« gewöhnt, wundere mich noch über »Premium-Leistung« und stolpere ansonsten nur noch über wenige Begriffe. So wird im Umfeld des Ministeriums gerne zwischen »Steuerern« und »Umsetzern« unterschieden. Die »Steuerungsebene« gestalte die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen im kommunalen Klimaschutz, während die »Umsetzungsebene« diese – nun ja – umsetze. Was mir hierbei fehlt, ist der Hinweis auf die Eigen­initiative, die Macht von unten, oder auch der dezente Hinweis, dass das Verhältnis zwischen Steuerern und Umsetzern ganz dringend ein wechselseitiges auf Augenhöhe sein sollte. Der Blick in die Augen des anderen ist ebenfalls ein Spiegel. Es ist Zeit für einen ­Dialog zwischen den Welten! •


Marcus Andreas (35) ist Mitbegründer des Forschungsvereins »Research in Community e. V.« (www.researchincommunity.net), schrieb »Vom neuen guten Leben. Ethnographie eines Ökodorfes« (Rezension in Oya 33) und ­arbeitet aktuell für eine Politikberatungsfirma in Berlin.

Der Artikel gibt nicht die Meinung der assoziierten Organisationen wieder.

Weiter recherchieren?
Gemeinschafts-Studie der Universität Kassel: www.usf.uni-kassel.de/glww
Klima-Bündnis e.V. (www.klimabuendnis.org) und ICLEI (www.iclei.org) als zwei der über 40 multinationalen Kommunen-Netzwerke weltweit.
Nationale Klimaschutzinitiative (NKI) und das »Service- und Kompetenzzen-trum: Kommunaler Klimaschutz«: www.klimaschutz.de
Grüne Linke Liste Kaufungen: www.gll-kaufungen.de
TESS (Towards European Societal Sustainability): www.tess-transition.eu
Die internationale Kommunalkonferenz ICCA2015: www.icca2015.org
Rob Hopkins eigener Bericht zu seinem Besuch in Hannover: http://kurzlink.de/robhopkins

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