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Befreit lernen (Buchbesprechung)

von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #35/2015
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Von rechts bis links sind sich alle einig: Das Schulsystem bedarf der Reform. Peter Gray zeigt in »Befreit lernen« jedoch, warum die herkömmlichen Schulsysteme – egal, wie autoritär oder demokratisch sie gestimmt sein mögen – nie funktionieren werden: Der Lerntrieb des Menschen sei zwar immens stark, doch töte ihn schon leichter Zwang schnell ab. Grays Argumentation ist faszinierend und schlüssig. Die Körper und Gehirne heutiger Menschen seien letztlich immer noch auf das Leben als Jäger und Sammler eingestellt – das ist erst 10 000 Jahre her! Und Anthropologen wissen: Der nomadische Nachwuchs hat sich alles, was er für das Leben in der Jäger-und-Sammler-Gruppe brauchte, im ausgiebigen Spiel selbst beigebracht.
Spiel, so Peter Gray, ist nichts anderes als der Trick der Natur, Menschenkinder und die Jungen diverser anderer Tierarten dazu zu bringen, freudvoll und quasi automatisch das zu lernen, was sie für ein gutes Leben wissen und können müssen!
Viele, viele Jahrtausende lang vertrauten Eltern ganz selbstverständlich darauf, dass dieser Trick funktioniert. Das Prinzip »Schule« ist erst wenige Jahrhunderte alt, doch in dieser kurzen Zeit ist die wunderbare Funktion des spielerischen Lernens fast vollständig in Vergessenheit geraten. Der Autor beklagt, dass Eltern mittlerweile die extrem starke Sorge umtreibt, ihre Kinder könnten nicht klug oder diszipliniert oder gesund genug sein, um das schuli- sche Arbeits(!)pensum zu schaffen. Der mit Schule verbundene Druck mache Kinder, Familien und auch das Lehrpersonal krank.
Peter Gray zeigt nun aber, dass der alte Trick der Natur auch bei den Lern-Herausforderungen, vor den in unsere komplexe Welt Hineingeborenen stehen, noch funktioniert. Im letzten Teil seines bahnbrechenden Buchs stellt er zwei bewährte Ansätze vor, wie Kinder heute ebenso frei und spielerisch lernen können wie ihre Urahnen. Da ist zum einen das Erfolgsmodell der Sudbury-Schulen, die mit »Schule« eigentlich kaum mehr etwas zu tun haben, sondern »nur« einen geschützten Raum mit basisdemokratischen Spielregeln bieten, in dem Kinder und Jugendliche ausführlich ihren Spiel- bzw. Lerntrieben nachgehen können. Gray zeigt hier unter anderem, dass vom jahrgangsübergreifenden Aufwachsen alle Beteiligten gleichermaßen profitieren. Zugleich weiß er Skeptiker zu beruhigen, indem er Statistiken vorweist, die zeigen, dass Sudbury-Abgängern die Welt weit offen steht. Das schließt auch die akademische Welt ein, in der sich die noch immer bildungshungrigen jungen Menschen meist problemlos zurechtfinden.
Der zweite Ansatz betrifft das in Oya regelmäßig beschriebene Lernen zu Hause, genauer die Variante »Freilernen«, bei der ebenfalls erfolgreich auf Lehrpläne verzichtet wird.

Befreit lernen
Wie Lernen in Freiheit
spielend gelingt.

Peter Gray

Drachen Verlag, 2015
224 Seiten
ISBN 978-3927369917
22,80 Euro

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