Permakultur

Die zweite Gartensaison beginnt im August

»Frisch und regional« geht auch in der kalten Jahreszeit – der Wintergemüseanbau macht es möglich.von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #34/2015
Photo
© Barbara Damrosch

Ein Pionier auf dem Gebiet des Gemüse­anbaus im Winter ist der US-Amerikaner Eliot Coleman. Er sammelte in seiner bald 40-jährigen Berufslaufbahn weitreichende Erfahrungen in der biologischen Landwirtschaft, insbesondere beim Gemüseanbau im Freiland und im Gewächshaus, und publizierte diese in mehreren englischsprachigen Büchern. Kürzlich ist sein Grundlagenwerk zum erwerbsmäßigen Wintergemüseanbau auf Deutsch erschienen. Die darin beschriebenen Erfahrungen bilden die Grundlage dieses Artikels.
Eliot Coleman geht es nicht darum, mit dem bestmöglichen Heizungssystem ein Gewächshaus mit Frühlingstemperaturen zu betreiben. Nach Experimenten auch mit nur minimal beheizten – also frostfrei gehaltenen – Gewächshäusern haben sich er und seine Frau Barbara Damrosch in ihrem Betrieb »Four Season Farm« bewusst der »Herausforderung einer einfachen, minimalistischen und heizungsfreien Produktion« gestellt. Die wesentlichen Elemente eines solchen Anbaus sind demnach die Kälte­toleranz des Gemüses, eine Anbaustaffelung sowie der Wetterschutz der wachsenden Pflanzen.
Eines der grundlegenden Prinzipien der Permakultur, nämlich »Arbeite mit der Natur!«, war der Ausgangspunkt für seine Schritte in die Wintergärtnerei: »Es ist also kalt. Toll! Welches Gemüse wächst bei Kälte besonders gut?« Die Antwort darauf lieferte eine Sammlung von rund 30 Gemüsearten, die kältetolerant genug sind, um auch im Winter zu wachsen oder niedrige Temperaturen zumindest in gutem Zustand zu überstehen. Zu ihnen gehören so bekannte Pflanzen wie Feldsalat, Möhren, Spinat und Mangold, aber auch Lauch, verschiedenste Salate, Rote Rüben und Radieschen. Diese werden auf der Four Season Farm im Spätsommer und Herbst kontinuierlich herangezogen. Manche werden ins Freiland gepflanzt und später mit einem rollbaren Folientunnel geschützt; andere kommen gleich ins Gewächshaus, sobald die Sommerkulturen dieses verlassen haben. Im Freiland wachsen die Pflänzchen, solange die Sonne genug Energie liefert. Als zusätzlicher Schutz wird mit dem ersten Frost ein Vlies über die Beete gespannt. Geerntet wird das Gemüse während des Winters oder im zeitigen Frühjahr, wenn die neue Wachstumsperiode eingesetzt hat.

Wachstumsbedingungen im Winter
Die Beobachtung des Pflanzenwachstums im Winter und der Klimaverhältnisse im Gewächshaus bilden die Basis von Colemans erfolgreicher Wintergärtnerei.
Bedingt durch den Sonnenstand und die Sonnenscheindauer verändert sich das Klima im Lauf eines Jahres ständig. Im Herbst sind die Verhältnisse umgekehrt zu denen im Frühjahr: Die Tageslänge nimmt ab, nicht zu; die Temperatur wird niedriger, nicht höher. Dies hat einen längeren Abstand zwischen Aussaat und Ernte zur Folge.
Coleman stellte fest: Das Pflanzenwachstum verlangsamt sich deutlich ab dem Datum, wo die Tageslänge unter zehn Stunden fällt, und beginnt erst im Februar mit zunehmender Lichtmenge wieder neu. Demnach müssen die Pflanzen für eine verlässliche Winterernte schon im Herbst eine bestimmte Größe erreichen. Die Aussaat- und Pflanztermine für seine Winterkulturen bestimmt Coleman über präzise Berechnungen und genaue Pflanzpläne.
Ob eine Pflanze in der Lage ist, Temperaturen unter null Grad zu überstehen, hänge neben der Art zuvorderst von ihrem Alter ab, so Coleman. Jüngere Pflanzen seien frostfester als ältere. Der nächstwichtige Faktor für eine Ernte im Winter sei der Schutz der Pflanzen. Coleman beschreibt beeindruckende Bilder, die sich beim winterlichen Besuch im Kalthaus – also im Gewächshaus ohne Heizung – zeigen: Früh am Morgen nach einer frostigen Nacht sind »alle Pflanzen fest gefroren. Entfernt man die innere Vliesabdeckung, bietet sich ein Bild von steifgefrorenen, rauhreifüberzogenen Blättern. Ganz anders ein paar Stunden später, nachdem die Sonne das Glashaus auf Plusgrade aufgewärmt hat: Unter dem Vlies sieht man Reihen von kräftigen, gesunden Blättern, deren Farben in den verschiedensten Schattierungen von grün, rot, rotbraun und gelb leuchten und sich deutlich von der dunklen Erde abheben.«
Gewächshäuser aus UV-beständiger Folie oder Glas bieten ein schützendes Mikroklima für die Winterkulturen. Der wesentliche Faktor für das Überleben der meisten Kulturen ist nach Eliot Colemans Erfahrungen aber nicht die Temperatur. Wesentlich strapaziöser auf die Pflanzen wirkten der Wind und die »zwischen Nässe und Trockenheit, Schnee und Eis schwankenden Außenbedingungen im Winter«. Betrachte man die Wirkung der Gewächshäuser, so könne man feststellen, dass jede weiter schützende, sonnendurchlässige Schicht das Gewächshausinnere klimatisch um rund 800 Kilometer in Richtung Äquator verschiebt. Begrenzt wird das Prinzip allerdings durch die Verringerung der Sonneneinstrahlung mit jeder Schicht. Coleman sammelte seine Erfahrungen im kalten US-Bundesstaat Maine mit Winterhärtezone 5 (durchschnittliche Tiefsttemperaturen bis -28 °C). Obwohl auf dem 44. Breitengrad gelegen, herrscht hier eine Sonneneinstrahlung wie in Südfrankreich. Ein Gewächshaus aus einfacher Folie und darunter eine ­Beetabdeckung mit kleinen Vliestunneln hat sich als praktikabelste Variante herausgestellt; sie bringt die Beete in ein Klima wie in Zone 8. Coleman schreibt: »Der Boden unter der inneren Vliesabdeckung gefriert auch in den kältesten Nächten nur leicht und oberflächlich.« Ein kontinuierliches Nachpflanzen sei so während des ganzen Winters tagsüber möglich.
Deutschland wird den Winterhärtezonen 7 und 6 (Tiefsttemperaturen bis -17 °C bzw. -23 °C) zugeordnet. Sachsen beispielsweise liegt dabei ungefähr auf Höhe des 51. Breitengrads. Da die Sonne im Winter umso flacher steht, je höher der Breitengrad ist, muss der Standort eines Gewächshauses so gewählt werden, dass er auch im Winter, etwa durch hohe Bäume, nicht beschattet wird. Das Aufheizen durch die Sonne während des Tages ist der entscheidende Faktor, um die nächtlichen Temperaturen im Gewächshaus möglichst hoch zu halten, stellte Coleman durch Experimente fest. Deshalb verwendet er als zweite Schutzschicht im Gewächshaus dünnes, leichtes Vliesmaterial, das während des Tages mehr Licht durchlässt als dickeres und scheinbar besser isolierendes, aber weniger lichtdurchlässiges Gewebe.
Wintergemüseanbau nach der von Coleman beschriebenen Methode findet man in Deutschland bislang kaum. Ein Ort, an dem nach seinen Empfehlungen gegärtnert wird, ist der acht Hektar große Permakulturpark im Lebensgarten Steyerberg. Auf einem sandigen, ehemals ausgelaugten Monokulturacker entwickelt sich seit 2008 mit Hilfe bodenverbessernder Maßnahmen wie Gründüngung und Flächenkompostierung ein Lehr-, Forschungs- und Demonstrations­gelände zur ökologischen Nutzung von land- und forstwirtschaft­lichen Flächen. Neben kleinen, privat bewirtschafteten Gärten und einer Versuchsfläche zum Erdmagnetismus wird auf 4200 Quadratmetern – unter anderem in zwei feststehenden Folientunneln – mit den ­Methoden Eliot Colemans ganzjährig Gemüse angebaut. Über Abokisten findet es seinen Weg auf die Küchentische. Auf dem Garten­gelände in Steyerberg werden auch Workshops und Kurse angeboten. •


Tiefer in die Anbaumethode einsteigen?
www.permakulturpark.de

 

________________________________________

Buchtipp

Frischgemüse im Winter
Im »Handbuch Wintergärtnerei« stellt Eliot Coleman die Entwicklung seines Gemüsebaubetriebs, die dort erprobten Anbausysteme und die Grundlagen des erwerbsmäßigen Winteranbaus vor. Es enthält Informationen zu allen Details, die Gärtnerinnen und Gärtner interessieren: von der Anbauplanung über Gewächshausmodelle, Bodenvorbereitung, Aussaat, Ernte im Winter, Vermarktung und Wirtschaftlichkeit bis hin zur sommerlichen Nutzung der Gewächshäuser und zu – teilweise selbstgebauten – Werkzeugen für den Kleinbetrieb. Dazu gibt es einen spannenden Abstecher in die Geschichte der (europäischen) Wintergärtnerei sowie ein Kapitel mit Gedanken des Autors zu einem »tiefenbiologischen« Landbau, der sich von den für Verbraucher irreführenden institutionalisierten Bio-Regeln abgrenzt.
Das Buch macht Lust, selbst loszulegen – auch wenn dafür einige Infrastruktur geschaffen werden will. Es bietet allen, die auch im Winter gerne gärtnern, Information und Inspiration, und es zeigt, mit wie viel Liebe und Begeisterung ein Mensch seine Arbeit ausüben kann. Sein Buch hat Eliot Coleman den Kindern gewidmet, »denen unser Gemüse schmeckt«. ◆

Handbuch Wintergärtnerei
Frisches Biogemüse rund ums Jahr.
Eliot Coleman
Löwenzahn 2014
256 Seiten
ISBN 978-3706625654
24,90 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #34

Photo
Permakulturvon Johannes Sehl

Die Natur wirken lassen

Der Permakultur-Student Johannes Sehl absolvierte bereits eine Ausbildung in der von Rudolf Steiner begründeten biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Die geschichtlichen und gedank­lichen Hintergründe der anthroposophischen Methode reizten ihn, nach den Parallelen in der permakulturellen Herangehensweise zu forschen. Das brachte ihn auch zu der Frage, wie ein wahrhaft naturgemäßer Acker aussehen könnte.

Photo
von Lara Mallien

Welthandel selbstgemacht


Photo
Bildungvon Line Fuks

Zeit, zu leben

Lernen wird in der Grundschule zu Arbeit und Pflicht – diese ungünstige Assoziation bleibt ein Leben lang ­erhalten. Dabei könnte Lernen spielerisch leicht sein.

Ausgabe #34
Diesmal: Wirtschaft!

Cover OYA-Ausgabe 34
Neuigkeiten aus der Redaktion