Gemeinschaft

20 Jahre Global Ecovillage Network

Ross und Hildur Jackson, Initiatoren und langjährige Förderer des GEN, erzählen, wie es zur Gründung des Netzwerks kam.
von Hildur Jackson, Ross Jackson, erschienen in Ausgabe #32/2015

In diesem Jahr wird das Global Ecovillage Network (GEN) 20 Jahre alt. Gegründet 1995 in Findhorn, verbindet es heute mehr als 10 000 Dörfer, Gemeinschaften und Stadtteilinitiativen in über 100 Ländern auf allen Kontinenten. GEN hat mittlerweile ­sogar beratenden Status im Wirtschafts- und Sozialrat der UNO.
Mit seinen regionalen Netzwerken GEN Afrika, GEN Ozeanien und Australien, CASA für Lateinamerika, GENNA für Nordamerika und GEN Europa ermöglicht der weltweite Zusammenschluss eine direkte Verbindung zwischen Menschen und Initiativen aus dem globalen Süden und Norden sowie zwischen Tradition und Innovation. Ökodörfer sind heute keine isolierten grünen Inseln mehr wie noch vor zwanzig Jahren; vielmehr erarbeiten sie in enger Kooperation mit anderen transformativen Bewegungen Wege zur nachhaltigen Entwicklung ganzer Gesellschaften.

Hildurs Geschichte
Nach meinem Jura-Abschluss lebte ich 1967 in einem Kibbuz, um herauszufinden, ob Menschen in der Lage sind, für das Gemeinwohl zu arbeiten, oder ob sie grundsätzlich egoistisch sind. Meine Erfahrungen dort brachten mich zu der tiefen Überzeugung, dass die menschliche Natur veränderbar und es also möglich ist, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Zurück in Dänemark begann ich, Kultursoziologie zu studieren, weil ich hoffte, dabei etwas über gesellschaftliche Veränderung zu lernen. Mir war klar, dass viele Dinge sich ändern mussten, und ich wollte Teil davon sein. Das war Ende der 1960er Jahre – in der Zeit, als auch Ross und ich zu einer Familie zusammenfanden.
Während der nächsten zehn Jahre engagierte ich mich in verschiedenen sozialen Bewegungen. Daraus ging eines der ersten Co-Housing-Projekte Dänemarks hervor, das ich gemeinsam mit Ross und Freunden ins Leben rief. Alles schien möglich. Anfang der 1980er Jahre hörte ich vom »Nordic Alternative Future Project«, das 100 nordeuropäische Graswurzelbewegungen mit wissenschaftlicher Forschung verband und Lösungen für die sozialen und ökologischen Probleme unserer Zeit ausarbeiten wollte. Zehn Jahre lang habe ich als Koordinatorin der dänischen Sektion gearbeitet. Schließlich konnten wir 1985 dem UN-Frauenkongress in Nairobi den Bericht »Zukunftsbriefe aus dem Norden« überreichen.
Mir wurde klar, dass in vielen Initiativen das nötige Wissen vorhanden ist, um die Welt zu verändern. Doch ahnte ich auch, dass wir Menschen im entwickelten Norden zunächst Ordnung im eigenen Haus schaffen müssen. Also gründete ich 1987 den »Gaia Trust« zur Förderung alternativer Modelle. Als Grundlage formulierte ich eine Yin-Yang-Strategie: 400 Jahre lang hatten Technik und Ökonomie (yang) die gesellschaftliche Organisation bestimmt; nun müssten die Menschen lernen, so zusammenzuleben, dass eine innere Zufriedenheit mit globaler Gerechtigkeit einhergehen und Harmonie zwischen Frauen und Männern sowie mit der Natur entstehen kann (yin). Geeignete Techniken (yang) wiederum würden diesen Teil der Strategie unterstützen bzw. ergänzen.

Ross’ Geschichte
Mein Weg verlief ganz anders als der von Hildur. Als Managementberater war ich auf Unternehmensforschung spezialisiert. Der nachlässige Umgang mit der Umwelt und die immer größer werdende Spanne zwischen Arm und Reich bereiteten mir Sorgen. Wie Hildur glaubte ich nicht daran, dass von Politikern eine Veränderung zu erwarten wäre, denn sie waren ja eher Teil des Problems.
Nachdem ich eingehend über Devisenhandel geforscht hatte, setzte ich von 1984 bis 1986 mit Erfolg eigenes Geld ein. 1987 überließ ich dieses Devisensystem exklusiv dem Gaia Trust, damit dieser sein Programm finanzieren und so seine große Vision realisieren könnte. Mir gefiel die Idee, ein Netzwerk von Öko­dörfern zu unterstützen. Aus meiner Sicht war dies eine strategische Möglichkeit, ein Gegengewicht zur globalen Wirtschaftskrise, auf die die Welt zwangsläufig zusteuerte, zu schaffen. Ein Zusammenschluss von Ökodörfern, die konkrete alternative Lebensweisen vorlebten, erschein mir als vielversprechende Basis. Dass es damals niemanden sonst gab, der Ökodörfer unterstützte, war für mich ein weiterer Anreiz.

Der Beginn einer gemeinsamen Vision
Den folgenden Teil der Geschichte erzählen wir gemeinsam. 1990 kauften wir Fjordvang, einen Bauernhof in West-Dänemark. 1991 beauftragten wir das Journalistenpaar Robert und Diane Gilman damit, für den Gaia Trust weltweit Beispiele für vorbildliche Ökodörfer zusammenzutragen. Ihr Bericht zeigte, dass zwar viele spannende und sehr unterschiedliche Gemeinschaften existierten, aber unter den gefundenen war aus unserer Sicht noch kein voll ausgeprägtes, alle Lebensbereiche integrierendes Ökodorf. In ihrer Gesamtheit zeigten die Projekte allerdings die Vision einer neuen Kultur.
Basierend auf dem Bericht luden wir im September 1991 20 Vertreterinnen und Vertreter der bekanntesten und erfolgreichsten Gemeinschaften sowie einige Vordenker aus anderen Bereichen ein, um über die bestmögliche Verwendung des Gaia-Trust-Vermögens zu beraten. Im Konsens wurde unsere Idee bestätigt, mit dem Geld Menschen und Gruppen zu unterstützen, die das neue Paradigma bereits annähernd real lebten: Ökodörfer.
Oft werden wir gefragt: Welches waren die ersten Ökodörfer? Das ist nicht leicht zu beantworten, denn viele Mitglieder des GEN wurden gegründet, bevor es das Wort »Ökodorf« überhaupt gab. In den 1960er Jahren waren an verschiedenen Orten der Welt sehr unterschiedliche Gemeinschaften entstanden, viele davon zunächst aus einem weltanschaulichen, oft auch spirituellen Motiv heraus. Dazu gehören Findhorn in Schottland, The Farm in Tennessee, USA, Sarvodaya in Sri Lanka und die NAAM-Bewegung in Burkino Faso. Die Wurzeln von Sólheimar in Island (siehe Oya Ausgabe 29) reichen sogar bis in die 1930er Jahre zurück. Ein starker Impuls wurde durch den indischen Philosophen Sri Aurobindo und seine Partnerin Mirra Alfassa gesetzt; ihre Vision von Auroville wird seit 1968 in Indien verwirklicht.

1995 wird GEN geboren
Im Jahr 1995 tat die Bewegung der Ökodörfer einen großen Schritt nach vorn: Die Findhorn-Gemeinschaft organisierte die Konferenz »Ökodörfer und nachhaltige Entwicklung für das 21. Jahrhundert«, die ein großer Erfolg wurde. Über 400 Teilnehmer aus 40 Ländern kamen – und es wären wohl 700 gewesen, hätte es mehr Platz gegeben. Auf der Konferenz wurden viele Modelle von Ökodörfern und Gemeinschaften vorgestellt und ihre strategische Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung diskutiert. Spätestens seitdem war klar, dass das Ökodorfkonzept den Nerv vieler Menschen getroffen hatte.
Direkt anschließend trafen sich 20 Vertreter verschiedener Ökodörfer und gründeten offiziell das Global Ecovillage Network. Der Gaia Trust verpflichtete sich, die gemeinsamen Aktivitäten während der nächsten drei bis fünf Jahre zu finanzieren. Diese Zeit diente vor allem dem Aufbau des Netzwerks unter der Leitung von drei Regionalsekretären: dem Architekturprofessor Declan Kennedy (Lebensgarten Steyerberg/Deutschland), dem Klimaaktivisten Albert Bates (The Farm/USA) sowie dem Permakulturdesigner Max Lindegger (Crystal Waters/Australien). Sie bildeten das erste GEN-Team. Bei Hamish Stewart, dem internationalen ­Sekretär in Fjordvang, liefen die Fäden zusammen.
So gab es schließlich drei Sub-Netzwerke, die selbständig arbeiteten und den ganzen Erdball abdeckten: ENA, das Netzwerk Amerikas; GEN Europe, das für eine Weile auch die Ökodörfer in Afrika vertrat; sowie GENOA für Australien und Ozeanien. Über diese Entwicklung waren wir beide sehr froh, und so bemühten wir uns, im Hintergrund die sich ausweitenden Kontakte lebendig zu halten.

Eine Strohballenwand auf dem internationalen Parkett
Eine wichtige Verbindungsperson zur Dritten Welt war in den Anfangsjahren der indische Stadtplaner und Zukunftsforscher Rashmi Mayur. Er war der Leiter des Internationalen Instituts für Nachhaltige Entwicklung in Mumbai und nun auch inoffizieller UNO-Botschafter für GEN. Er nahm an allen großen Konferenzen und an zahlreichen Planungstreffen teil und wirkte als Berater der UNO sowie vieler Regierungen des Südens. Beim UN-Gipfel in Johannesburg 2002 wurde Rashmi Mayur von der Versammlung zum offiziellen Sprecher des Südens ernannt. Leider starb er 2004 an einem Schlaganfall, bevor er seine geplanten 28 großen Reden und Workshops halten konnte. Von seinen Mitstreiterinnen und Wegbegleitern wird er bis heute sehr vermisst.
Rashmi Mayurs leidenschaftliche Teilnahme an der Findhorn-Konferenz hatte uns als GEN-Initiatoren dazu inspiriert, im darauffolgenden Sommer 1996 an der UNO-Konferenz »Habitat II« in Istanbul teilzunehmen. Gemeinsam mit GEN bereiteten wir eine größere Ausstellung für das Forum der Nicht-­Regierungsorganisationen vor: Als Tafel für Poster und Fotos von Ökodörfern aus der ganzen Welt diente eine lehm­verputzte Strohballenwand. Dazu schufen eine Modell-Windmühle, Solarzellen und fließendes Wasser eine spezielle Atmosphäre. 5000 Exemplare der GEN-Broschüre »Die Erde ist unsere Wohnung« lagen aus, und mehr als 40 Workshops zu allen Ökodorf-Themen im globalen Kontext fanden in unserer Ausstellung statt. Viele Gäste der offiziellen Konferenz besuchten und lobten sie, und schließlich wurde GEN eingeladen, auf der Versammlung der UNO-Delegierten zu sprechen – Istanbul hatte die Bewegung der Ökodörfer auf die globale Landkarte gebracht.

Ausbildung für Nachhaltigkeit
Von Anfang an war mit dem Aufbau des GEN auch die Idee eines Ausbildungsprogramms für Nachhaltigkeit verbunden. Bis Ende der 1990er Jahre boten fast alle der großen Ökodörfer in ihren Regionen Workshops und Seminare, um ihr Wissen weiterzugeben. Ein allgemeingültiges Curriculum fehlte jedoch.
1998 lud Hildur 55 Lehrende aus dem Netzwerk nach Fjordvang ein. Die Wissensbereiche biologische Landwirtschaft, Permakultur, erneuerbare Energie, Abwasserreinigung, Gruppenleitung, ökologisches Bauen, Konfliktlösung sowie ethisch-ökologisches Wirtschaften sollten in einem Programm zusammengefasst werden. Ein Bestandteil des Curriculums war auch der Bereich kultureller, ethischer und spiritueller Weltsicht. Während reli­giöse Konflikte weite Teile der Welt erschütterten, haben wir dieses Problem in Ökodörfern nie erlebt – im Gegenteil: Dort wird in allen Traditionen gebetet und meditiert, die Menschen teilen – unabhängig von Religion und Kultur – ähnliche Werte. Daneben war es vor allem die Lebenspraxis in den Ökodörfern, die das Studium anschaulich und ganzheitlich vermitteln sollte: Die Auszubildenden lernen eine andere Lebensweise kennen, indem sie Teil davon werden.
Seit der »GEN+10«-Konferenz, die 2005 in Findhorn stattfand, arbeiten GEN und die »Gaia Education«-Schule für nachhaltige Lebenspraxis eng in der Bildungsarbeit zusammen. Ihr erstes »Produkt« war ein vierwöchiger Kurs mit dem Titel »Ecovillage Design Education«. EDE-Kurse wurden seither in 35 Ländern auf allen Erdteilen angeboten. 2008 wurde gemeinsam mit der »Offenen Universität Katalonien« eine Online-Version des Kurses entwickelt, die demnächst als zweijährige Master-Ausbildung anerkannt werden wird. Das frei zugängliche Ausbildungsmaterial und ein ständig aktualisiertes Curriculum, anerkannt von UNITAR und UNESCO, zogen bereits zahlreiche lernbegierige Menschen an.
Wie angekündigt, zahlte der Gaia Trust ab Juni 2003 nur noch ein Zehntel seiner bisherigen Unterstützungsgelder. Mit all seinen großen Zielen wurde das GEN nun eine Organisation von Freiwilligen, was während der folgenden Jahre eine deutlich langsamere Entwicklung zur Folge hatte. Es war eine schwierige Phase, denn die Arbeit musste nun auf wenige Schultern verteilt werden. Dennoch zogen die GEN-Konferenzen jedes Jahr mehr Menschen an. Die Ökodorf-Idee hat mittler-weile auch Osteuropa und Russland erreicht.

Das GEN erhält neuen Schwung
Mit der Wahl von Kosha Joubert als GEN-Präsidentin im Jahr 2008 begann erneut eine aktivere Phase. In ihrer Biografie als südafrikanische Burentochter, interkulturelle Forscherin und langjährige Bewohnerin des Ökodorfs Sieben Linden brachte Kosha viele kreative Elemente zusammen. Sie hatte auch das Curriculum der Gaia Education mitentwickelt und es erfolgreich in ihrer Gemeinschaft eingeführt. Ebenso erfolgreich beantragte sie finanzielle Mittel von der deutschen Bundesregierung. Besonders am Herzen lag ihr, dem afrikanischen Netzwerk zur Selbständigkeit zu verhelfen. Das gelang im Dezember 2012 – wieder mit finanzieller Unterstützung des deutschen Außenministeriums, das die Entwicklungen seither mit großem Interesse verfolgt. Kosha und ihr Team erweiterten das Spekrum der GEN-Aktivitäten erheblich und brachten Schwung in alle Regionen. So entwickelte sich zugleich mit einer effektiveren Organisation eine größere Vision. 2013 ging das lateinamerikanische CASA-Netzwerk aus dem gesamtamerikanischen Zusammenschluss der Ökodörfer hervor, und auch die Jugendorganisation »NextGEN« begann zu florieren.

Laboratorien einer neuen Kultur
Wer heute bekanntere Ökodörfer wie Findhorn, Sieben Linden, Tamera, Auroville oder das EcoVillage Ithaca besucht, kann dort wie in einem Brennglas das Entstehen einer neuen Kultur beobachten. Doch mittlerweile gibt es auch eine große Zahl und Vielfalt von zum Teil namenlosen Ökodörfern in aller Welt, die nicht als herausgehobene Modelle glänzen, sondern tief in ihrer Tradition und weiteren Nachbarschaft integriert sind. Bei aller Unterschiedlichkeit eint die im Global Ecovillage Network verbundenen Menschen das Ziel, ein erfülltes und freudvolles Gemeinschaftsleben zu führen und den ökologischen Fußabdruck gering zu halten. Wir erinnern uns oft an das alte Motto, das uns in den Anfängen stets inspiriert hat: »Wenn es keinen Spaß macht, ist es auch nicht nachhaltig.« •

Der Text dieses Artikels basiert auf dem Manuskript für das Buch »Ökodörfer weltweit – lokale Lösungen für globale Probleme« mit persönlichen Geschichten über den Aufbau von Gemeinschaften, herausgegeben von Kosha Joubert und Leila Dregger. Es erscheint im Juni im Verlag Neue Erde.


Hildur und Ross Jackson (73 und 78) haben neben drei Söhnen und fünf Enkeln diverse ideelle Kinder, darunter das von ihnen mitbegründete GEN-Netzwerk. Sie sind Pioniere der Gemeinschafts- und Co-Housing-Bewegung in Dänemark und ganz Europa sowie Autoren mehrerer Bücher. Hildur setzt sich für natürliche Geburt, die Frauen- und die Gemeinschaftsbewegung sowie für organische Landwirtschaft ein. 1987 gründete sie den »Gaia Trust«. Ross brachte als Berater Unternehmern umweltfreund­liches Wirtschaften nahe. Sein letztes Buch ist ein globaler Plan für radikale ­Reformen und heißt »Occupy World Street« (auf Deutsch im Hirzel Verlag, 2013).

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