Buchtipps

Die unheimlichen Ökologen (Buchbesprechung)

von Elena Rupp, erschienen in Ausgabe #31/2015
Photo

Die Erdbevölkerung wächst, die Umweltbelastung nimmt zu, die Ressourcen werden knapp. Antworten darauf fallen unterschiedlich aus – einige besonders simpel: »Wir sind zu viele!« Diese Aussage hinterfragen der Schweizer Grünen-Politiker Balthasar Glättli und der Sozialarbeiter Pierre-Alain Niklaus in »Die unheimlichen Ökologen«. Anlass für das Buch gab die Volksabstimmungs-Initiative »Stopp der Überbevölkerung« im November 2014. Die Schweizer Umweltschutzorganisation Ecopop hatte gefordert: »Zuwanderung begrenzen und 10 Prozent der Entwicklungshilfegelder für Familienplanung im Süden!« Ihre Diagnose: Mehr Menschen = weniger Lebensqualität und mehr Umweltzerstörung. Die Losung scheint verführerisch, da sie grundmenschliche Ängste vor Überfremdung und Ressourcenknappheit anspricht. Daraus resultierende fremdenfeindliche Strömungen gab es in Umweltbewegungen immer wieder.
Die Herausgeber sehen auch Ecopop in dieser Tradition und nehmen das Buch zum Anlass, die ideologischen Hintergründe dieser Initiative geschichtlich einzuordnen und zu hinterfragen. Sie verwehren sich dagegen, Umweltschutz und Ernährungssicherheit mit Bevölkerungspolitik zu vermischen. Dies führe nicht zu einer nachhaltigeren Welt, da strukturelle Ursachen von Armut ausgeblendet würden. Außerdem würden unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit neokolonialistische Haltungen gepflegt. Gastautoren demontieren die Ecopop-Argumente aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Informativ ist vor allem der Beitrag »Überzählig sind immer die anderen«, der die Familienplanungspolitik in Indien und China im Spannungsfeld der Nord-Süd-Beziehungen betrachtet. Die einzige Autorin im Buch bringt hier auf den Punkt, wie paradox der Gedanke ist, »dass ›uns‹ wegen des Bevölkerungszuwachses armer Schichten die Ressourcen ausgehen könnten«. Demnach gehe es nicht um eine nachhaltige Erde für alle, sondern um die Sicherung eigener Privilegien.
Das Thema »Instrumentalisierung von Bevölkerungspolitik zur Wahrung von Machtinteressen« hat immer wieder in verschiedenen Kontexten Aktualität. So bleibt das Buch auch nach der – mit 74 Prozent Gegenstimmen gekippten – Ecopop-Initiative lesens­wert. Leider ergründet es nicht systematisch, ob Überbevölkerung tatsächlich nur ein politisch instrumentalisiertes Konstrukt ist. Die Frage im Untertitel »Sind zu viele Menschen das Problem?« wird nicht eindeutig beantwortet. Immerhin skizziert das Buch Alternativen: allen voran eine Neudefinition von Wohlstand, die auf Genügsamkeit basiert. Es setzt den »unheimlichen Ökologen« menschenfreundliche Konzepte entgegen, die aus der Not heraus Ansätze für ein gutes Leben finden. ◆ 


Die unheimlichen Ökologen
Sind zu viele Menschen das Problem?
Balthasar Glättli, Pierre-Alain Niklaus (Hg.)
Rotpunktverlag, 2014
19,90 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #31

Photo
(Postwachstums-)Ökonomievon Veronika Bennholdt-Thomsen

Politik der Subsistenz

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Stimmen, die von einer Zivilisations­krise sprechen, mehren sich. Damit ist gemeint, dass die Klima- und die Umweltkrise, die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Hungerkrise – die in Wirklichkeit eine »Krise« der Nahrungsmittelpreise ist

Photo
(Basis-)Demokratievon Dieter Halbach

Demokratie mitten in der Zerstörung

Es kommt mir vor wie ein kleines Wunder: Inmitten des schrecklichen Kriegs in Syrien gibt es Orte der Demokratie, des Friedens und der Toleranz, wo sich Bürgerinnen und Bürger selbstbestimmt engagieren – soge­nannte zivilgesellschaftliche Zentren. ­Wo­raus sind diese

Photo
von Matthias Fersterer

Inventing Peace (Buchbesprechung)

Die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Friedens ist ein zentrales Thema in Wim Wenders’ Filmen. »Noch niemandem ist es gelungen, ein Epos des Friedens anzustimmen«, sinniert Curt Bois in »Der Himmel über Berlin«. »Was ist denn am Frieden«,

Ausgabe #31
Tatorte

Cover OYA-Ausgabe 31
Neuigkeiten aus der Redaktion