Gesundheit

Solidarisch gesund

Artabana-Mitglieder unterstützen sich gegenseitig bei Krankheitsfällenvon Beate Küppers, erschienen in Ausgabe #4/2010
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Für Menschen, die zum ersten Mal von diesem Modell hören, ist ein Leben ohne Krankenversicherung oft nicht vorstellbar. Immer wieder kommen dann ähnliche Fragen auf. Dabei ist das Wesen der Arta­bana-Bewegung – wir sprechen oft vom »Artabana-Geist« – schwer zu erklären, und die Erfahrungen sind individuell. Wenn ich im Folgenden auf die mir »häufig gestellten Fragen« antworte, zeige ich also meine ­persönliche Sicht auf Artabana.

»Ist es tatsächlich möglich, ohne Krankenversicherung zu leben?« Artabana funktioniert grundsätzlich anders als eine Versicherung. Die Gemeinschaften gründen sich auf der Basis von Eigenverantwortung und Solidarität. Ich zahle Beiträge, damit anderen Menschen, die in Not geraten, ­geholfen werden kann. Die grundsätzliche Frage lautet, »Was bin ich bereit, zu geben?«, und nicht, »Was kann ich bekommen?«. Wenn alle bereit sind, etwas beizutragen, dann kann ich auch darauf vertrauen, dass ich Hilfe bekomme, wenn ich selber in Not bin. Das ist aber nicht die primäre Motivation, und es gibt keinen Leistungsanspruch. Diese Art von Rückhalt hat eine völlig andere Qualität als die Absicherung in einer Krankenkasse. Häufig werden wir gefragt: »Was macht ihr, wenn …« – wenn z. B. ein ganzer Bus voller Artabanis verunglückt, und alle sind gleichzeitig schwerverletzt. Versicherungsmathematische Antworten geben wir darauf nicht, obwohl wir jährlich unsere Leistungsfähigkeit nachweisen müssen und können.
Ängste und Sicherheitsbedürfnisse sind bei uns allen unterschiedlich gelagert und brauchen einen achtsamen Umgang. Artabana richtet seinen Fokus aber auf Vertrauen und Gesundheit. Uns beschäftigen daher Fragen wie »Was tue ich, um gesund zu werden oder zu bleiben?« oder »Wie ­können wir Lebensumstände schaffen, die gesundheitsfördernd wirken?«.

»Funktioniert Artabana etwa ohne Geld?« Nein. Fast alle Artabana-Gemeinschaften haben ein Konto bei der GLS Bank. Am Jahresanfang gibt jedes Mitglied ein Beitragsversprechen, das sich aus den vor­aussichtlichen Kosten für die eigene Gesundheitsfürsorge und einem Anteil für den gemeinsamen Solidarfonds zusammensetzt. Um auch bei größeren Notfällen helfen zu können, schließen sich die Gemeinschaften zu regionalen Bündnissen zusammen und bilden so untereinander wiederum größere Solidargemeinschaften. Außerdem gibt es einen bundesweiten Feuerwehrtopf, aus dem Darlehen sofort zur Verfügung gestellt werden können. Der eigentliche Vorgang des Schenkens findet anschließend aber in der Regel dort statt, wo die Menschen sich persönlich kennen – innerhalb der eigenen Gemeinschaft oder in der Region.

»Was bedeutet Selbstverwaltung?« Die Artabana-Bewegung besteht aus über hundert Gemeinschaften, die als GbR oder Verein organisiert sind. Hier finden regelmäßige Treffen statt, bei denen sich die Menschen austauschen und aneinander Anteil nehmen. Die notwendige Verwaltungsarbeit wird ehrenamtlich organisiert. Auf lokaler Ebene gibt es z. B. Kassenwarte, Internetverantwortliche und Ansprechpartner für Interessierte. Der Vorstand des Artabana Deutschland e. V. vertritt die Bewegung nach außen und wird durch eine Reihe von aktiven Mitgliedern unterstützt, die sich für die verschiedenen organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben einsetzen. Vorstandssitzungen und Telefonkonferenzen sind für alle interessierten Artabanis offen. Menschen, die sich für die ganze Bewegung stark engagieren, stoßen manchmal an die Grenzen ihrer ehrenamtlichen Kapazität. Dann wird gemeinsam nach einem stimmigen Ausgleich gesucht, der entweder auf finanzieller Ebene fließt oder nach individuellen Bedürfnissen. So erhielt vor einigen Jahren die Kassenwartin während der arbeitsintensiven Zeit des Jahresabschlusses Hilfe im Haushalt. Andere Artabanis erklärten sich bereit, zu kochen, Fenster zu putzen und sich mit um ihre Kinder zu kümmern.
Das Prinzip der Selbstverwaltung greift auch in den regionalen Bündnissen und bei den verschiedenen bundesweiten Veranstaltungen. Einmal im Jahr findet die Mitglieder­versammlung des Artabana Deutschland e. V. statt. Da wir möglichst im Konsensprinzip entscheiden, sind diese Versammlungen immer ein gutes Stück Arbeit. Jede kritische Stimme und jeder Vorschlag will Raum haben und gehört werden.

»Muss dann nicht sehr viel Zeit in Konfliktlösung investiert werden?« Wir experimentieren mit den verschiedensten Formen von Groß- und Kleingruppenarbeit. Manche Methoden haben sich seit Jahren bewährt, andere haben wir für unsere Zusammenkünfte wieder verworfen. Meine ­Erfahrung ist, dass gerade die großen Arta­bana-Versammlungen immer wieder durch den gemeinsamen Geist getragen werden. Natürlich gibt es Meinungsverschieden­heiten, Auseinandersetzungen und Menschen, die in ihrer Verschiedenheit aufeinanderprallen. Gleichzeitig sind unsere Begegnungen aber von Offenheit, Herzenswärme und der Bereitschaft geprägt, sich in Achtsamkeit und Wertschätzung füreinander zu üben. In diesem Sinn ist Artabana auch ein großes Übungsfeld für ein neues, soziales Miteinander. Es gibt viele Artabanis, mit denen mich eine tiefe, über Jahre gewachsene Freundschaft verbindet, auch wenn unser Alltag viele hundert Kilometer voneinander entfernt stattfindet.

»Welche Aufgabe haben die Artabana-Paten?« Paten sind in der Regel Artabanis mit langjähriger Erfahrung. Sie begleiten Gründungstreffen, geben Tipps und Hinweise. Neue Gruppen schließen sich dem jeweiligen regionalen Bündnis in ihrer Gegend an und können sich dann in den Verein Artabana Deutschland e. V. aufnehmen lassen, was empfehlenswert ist.
Der Vorstand des deutschlandweiten Vereins erhält von der Mitgliederversammlung Aufträge und hat das Ohr immer in den Regionen, um zu hören, was den Arta­banis dort am Herzen liegt. Dem Vorstand, der gegenwärtig aus drei Personen besteht, arbeiten diverse Arbeitsgruppen zu.«

»Was passiert, wenn jemand schwer krank wird?« Bei Artabana gibt es keinen festgelegten Leistungskatalog. Ich bin frei, die Therapie zu wählen, die mir für meinen Heilungsweg am geeignetsten erscheint. Als ich vor einigen Jahren als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hat mich eine Artabana-Freundin begleitet. Sie ging zur Krankenhausverwaltung und hat dort alles Organisatorische geregelt. »Meine« Artabanis waren für mich Tag und Nacht erreichbar und haben für alles gesorgt, was ich während und nach dem Krankenhausaufenthalt an Unterstützung gebraucht habe. Meine Schwierigkeit war nicht die, dass Artabana nicht funktioniert hätte, sondern bestand vielmehr darin, all die Geschenke, die mir finanziell wie menschlich zuteil wurden, anzunehmen.
Gemeinsam haben wir schon viele, auch große Notfälle bewältigt. Dabei ergeben sich oft kreative, individuelle Lösungen. So konnte z. B. schon einmal eine Reha nach einem Schlaganfall komplett durch die Therapeuten aus der eigenen Gemeinschaft abgedeckt werden.

»Wie groß sind die Gruppen?« Es gibt Gemeinschaften mit fünf Mitgliedern und andere mit dreißig, das ist ganz unterschiedlich. Große Gruppen teilen sich manchmal, weil die Kontakte in einem kleineren Kreis ­intensiver sind.

»Ist Artabana nur etwas für junge Leute?« Nein, in der Artabana-Bewegung sind alle Altersgruppen zu finden. Die Jüngsten bringen immer Stimmung in die Treffen und machen ihr eigenes Programm.

»Wie kann ich bei Artabana mitmachen?« Artabana lebt durch den persönlichen Kontakt. Neue Mitglieder werden daher erst nach einer Zeit des Kennenlernens in die Gemeinschaften aufgenommen.
Im Internet gibt es eine Liste von öffentlichen Ansprechpartnern in ganz Deutschland, die Hinweise für Interessierte geben. Es kann sinnvoll sein, sich mehrere Gemeinschaften anzusehen oder an einem größeren Treffen teilzunehmen, um ein Gespür für die Vielfalt von Artabana zu bekommen. Denn keine Gruppe gleicht der anderen, und die Artabana-Idee wird auf unterschiedliche Weise umgesetzt.

»Wenn Artabana so gut funktioniert, sind die Gruppen dann nicht mit Hunderten von Interessenten konfrontiert?« Viele Menschen, die uns entdecken, finden Arta­bana spannend. Wer aber nur Geld sparen und der gesetzlichen Krankenkasse ent­fliehen möchte, ist bei uns nicht richtig. Pflichtversicherte können zudem aus rechtlichen Gründen nicht zu Artabana wechseln. Auch für Selbständige ist die Situation seit der Gesundheitsreform schwieriger ­geworden. Es gibt viele Artabanis, die ergänzend zu einer normalen Krankenversiche­rung Teil unserer Bewegung sind. Artabana Deutschland e. V. bemüht sich um eine rechtliche Akzeptanz als anderweitige Ab­sicherung im Krankheitsfall. Die Umsetzung dieses ­Anliegens hat in den letzten Jahren sehr viel Energie gekostet. Eine endgültige ­Regelung gibt es aber noch nicht.

Weitere Informationen über solidarische Gesundheitsvorsorge sind beim Artabana Deutschland e.V. erhältlich.

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