Titelthema

Quergedacht: Grundeinkommen

Fragen an die Bewegung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #4/2010

Haben Sie Besuch, und befürchten Sie einen langweiligen Abend, dann bringen Sie das Thema »­Bedingungsloses Grundeinkommen« auf den Tisch, und für Diskussionsstoff ist gesorgt. Das empfiehlt dm-Drogeriemarktchef und Vordenker der Grundeinkommens-Bewegung Götz Werner auf seinen Vorträgen. Dieses Prinzip hat auch in der Oya-Redaktion seine Wirksamkeit erwiesen: Als der erste Artikel-Vorschlag zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) bei uns einging, war klar, dass wir nicht ohne einen breiteren Diskussionsaufruf an die Szene auskommen würden. Also haben wir einen solchen verfasst und verschickt. Nicht, dass uns langweilig gewesen wäre. Aber das Thema lässt sich nur diskursiv angehen. Dabei wollten wir nicht in die Detailfragen einsteigen, sondern grundsätzliche Fragen stellen:
Weist das Grundeinkommen einen Weg zur Selbstermächtigung? Würde es endlich das Potenzial kreativer, engagierter Menschen freisetzen, so dass sie sich nicht mehr in sinnleeren Jobs aufreiben oder sich von der Sozialagentur gängeln lassen müssten? Oder macht ein Grundeinkommen die Menschen endgültig zu passiven, unkritischen Konsumenten? In Hinblick auf die dritte Ausgabe von Oya, in der es um eine Wirtschaft des guten Lebens ging, erschien der Oya-Redaktion folgende Frage besonders wichtig:

Von welcher Wirtschaft wollen wir uns versorgen lassen?
Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen aus einer Wirtschaft generiert wird, die den Planeten in eine beispiellose ökologische Katastrophe steuert, ist das Glück, das es uns bescheren könnte, von kurzer Dauer. Wollen wir uns von einer derart gefährlichen Wirtschaft versorgen lassen? Verbinden die Befürworterinnen und Befürworter des Grundeinkommens ihre Forderungen mit komplementären Strategien zur Wandlung der Wirtschaft?
»Die Frage, von welcher Wirtschaft wir uns versorgen lassen wollen, stellt sich unabhängig davon, woher wir unser Einkommen beziehen«, bemerkt Johannes Ponader richtig. Er richtet diesen Herbst in München den Kongress »Grundeinkommen und anderes Geld« aus. »Weder die Ausbeutung und die Zerstörung der Natur noch die Ausbeutung von Menschen und die Zerstörung der Möglichkeiten auf ein selbstbestimmtes und glückliches Leben sind akzeptable Tatsachen – und keine akzeptablen Voraussetzungen jeglicher Art von Wirtschaft und Politiken, auch nicht von Grundeinkommenspolitiken«, bekräftigt auch Ronald Blaschke, bekannter Autor zur Grundeinkommens-Diskussion und Netzwerkrat im Netzwerk Grundeinkommen. In seinem Verständnis muss das Grundeinkommen in ein emanzipatorisches und transformatorisches Gesamtkonzept eingebunden werden. In der Tat haben viele, die sich an der Oya-Diskussion zum Grundeinkommen beteiligt haben, ein solches Gesamtkonzept im Blick. Es mangelt auch nicht an konkreten Vorschlägen, was darin zu berücksichtigen ist. Beispielsweise eine gemeingüterzentrierte Wirtschaft und mehr direkte Demokratie.

Ein transformatorisches Gesamtkonzept
Die Grundeinkommens-Aktivistin Tanja Ries, Sängerin und Moderatorin schreibt: »Das Grundeinkommen und die Bewahrung der Allgemeingüter bedingen sich gegenseitig: die Bewahrung von reiner Luft, sauberem Wasser und gesunder Nahrung – bedingungslos und für alle (www.now-project.net).«
Ulli Sambor, die sich in der österreichischen Attac-Gruppe mit dem Thema Grundeinkommen auseinandersetzt, nennt »gutes Leben für alle« als Motto aller komplementären Forderungen rund um ein emanzipatorisches, bedingungsloses Grundeinkommen. »Unser Ziel ist Steuergerechtigkeit, Ernährungs- und Energiesouveränität, gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ohne naturschädigendes Wachstum, Schutz der Gemeingüter und Freiheit der Wissensallmende etc. Der Arbeits- und Leistungsbegriff muss hinterfragt werden, und es muss mehr direkte Demokratie geben«.
Dass ein Grundeinkommen auch zu einem erhöhten Konsum und noch höherem Ressourcenverbrauch führen könnte, ist eine Problematik, die durchaus gesehen wird, zum Beispiel von dem Politikberater Günter Sölken: »Wir müssen uns von der Konsumwahngesellschaft verabschieden. Dann kommen wir auch mit einem niedrigeren Grundeinkommen aus. Zudem würden wir Ressourcen schonen, wir würden Energie, Bodenschätze, Luft und Wasser nicht mehr monopolistisch im Ultraschalltempo verbrauchen und könnten sie mit anderen teilen bzw. für nachfolgende Generationen aufheben. Und es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Wir brauchen mehr direkte Demokratie.«
Auch eine Transformation des Finanzsystems gehört zum Gesamtkonzept, betont Johannes Ponader. »Ob ein kreditfinan­ziertes und mit Zinsen belastetes Wirtschaftssystem neben einem garantierten Grundeinkommen, das uns allen die Macht gibt, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen, lange funktionieren würde, stelle ich in Frage. Ich denke, ein Grundeinkommen funktioniert langfristig nur dann, wenn wir zusammen mit dem Dogma der Erwerbsarbeit auch das goldene Kalb der Zinswirtschaft hinter uns lassen.«
Eine radikale Veränderung der Steuersysteme scheint ebenfalls ein zentraler Angelpunkt zu sein, wie Josef Kusstatscher, Grünen-Politiker aus Südtirol, hervorhebt. Das Gemeinwesen müsse wieder einen vorrangigen Stellenwert in der Gesellschaft bekommen, die Politik müsse klar über der Wirtschaft stehen. »Es muss in erster Linie der Konsum, vor allem der Konsum nicht erneuerbarer Ressourcen und das Investieren in Luxusgüter, hoch besteuert werden, ebenso Reichtum, Wertzuwachs, Besitz und Vermögen.«
Für die Finanzierung des Grundeinkommens schlägt Ronald Blaschke, vor, zunächst das unökologische Wirtschaften und Konsumieren zu besteuern. Das ist freilich nur in einer Anfangsphase möglich, denn genau das soll ja baldmöglichst ein Ende haben. Deshalb hält Blaschke mehrere alternative Politiken komplementär zum Grundeinkommen für nötig. »Für mich steht fest, dass letztlich die Produktion und Konsumtion mit einer Energie- und Ressourcensuffizienz einhergehen muss. Das verlangt eine Schrumpfung des bisherigen wertschöpfenden Produktionsvolumens statt eines Wachstums. Das bedeutet aber auch, dass die bisherige Leistungs- und Wertschöpfungslogik über Bord geworfen werden muss – mit Folgen für die Finanzierung bzw. Ermöglichung des Grundeinkommens oder anderer Formen der bedingungslosen Zurverfügungstellung von Ressourcen zur Absicherung der Existenz und Teilhabe. Ich glaube, dass das einzige, was ökologisch unschädlich in Zukunft wachsen sollte, menschliches Wissen, menschliche Solidarität, Freiheits- und Mußefähigkeit sowie die Kultiviertheit menschlichen Lebens ist.«

Von der Fremdversorgung zur Selbstversorgung
Solche Überlegungen machen es spannend, denn damit
wird in die Zukunft gedacht: Wie können alle gut leben, wenn die Wirtschaft tatsächlich ihre Leistungs- und Wertschöpfungs­logik über Bord wirft? Hier schließen die Gedanken des ­Buchautors Kai Ehlers an, der den wichtigen Punkt der Selbstversorgung anspricht. Ein Grundeinkommen, das die allgemeine Grund­sicherung nicht mitdenkt, sondern auf die individuelle Ausschüttung von Geld durch den Staat beschränkt wird, sei keine Alternative zur expansiven Wachstumsgesellschaft und deren Folgen. »Zu einer Alternative kann ein Grundeinkommen erst werden, wenn die Koppelung von Arbeit und Lohn in Frage gestellt wird, wenn die Ergebnisse der Arbeit stattdessen in ein allgemeines Grundvermögen einfließen, aus dem eine Grundsicherung wie auch ein – an der Qualität der Grundsicherung zu bemessendes - individuelles Grundeinkommen gezahlt wird. Eng verbunden mit dieser Art der Arbeitsorganisation ist, der heute wuchernden, globalisierten Fremdversorgung eine lebens- und gemeinschaftsfördernde Symbiose aus Versorgung mit Fremdgütern und erneuerter Eigenversorgung vor Ort an die Seite zu stellen.«
Ähnlich wie der Fernsehjournalist und Filmemacher Christoph Schlee, ebenfalls Netzwerkrat im Netzwerk Grundeinkommen, meinen viele, dass ein Grundeinkommen die Voraussetzung für den ökologischen Umbau der Ökonomie schaffen könnte. »Werden die individuellen Potenziale der Menschen materiell und kulturell gefördert, bestehen bessere Aussichten auf mündige und gesellschaftlich verantwortliche Bürger, die sich mit den hier skizzierten Szenarien auseinandersetzen können.«
Das ist eine positive Zukunftsvision, aber die Zeit drängt. Schon jetzt, ohne dass wir auf eine vom Grundeinkommen geförderte Generation warten können, verlangt die Gegenwart nach Handlung. Was tun? Womit beginnen?
Die zweite Frage der Oya-Redaktion war daher die folgende: Es ist nicht abzusehen, dass der Staat in den nächsten zwei bis drei Jahren ein Grundeinkommen einführen wird. Dessen Kurs – und das nicht nur in Deutschland – weist in die genau gegenteilige Richtung. Wenn das so ist, lohnt es nicht, auf den Staat zu warten, und auch politische Lobbyarbeit – die man andererseits selbstverständlich nicht vernachlässigen soll – reicht dann nicht aus. Wie könnten Impulse »von unten« und praktische Schritte innerhalb der Zivilgesellschaft aussehen, die Elemente der Grundeinkommensgesellschaft quasi vorwegnehmen und beispielhaft wirken?

Selbermachen – und den Staat in die Pflicht nehmen
Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Da gibt es einerseits diejenigen, die kaum noch Hoffnung haben, dass sich inner­halb der bestehenden staatlichen Strukturen nennenswerte Reformen erreichen lassen, sondern auf eine wachsende, selbst­organisierte Parallelgesellschaft setzen. Zu ihnen gehört Kai Ehlers:
»Ja, selbstverständlich kann ein Grundeinkommen von unten her entwickelt werden, muss es sogar, wie es früher im Familienverband geschah und noch in einigen Familien geschieht – zukünftig allerdings im erweiterten Familienverband der selbst gewählten Gemeinschaft, zu der auch assoziierte Einzelne gehören, aufsteigend zur selbstbestimmten lokalen Gemeinschaft, der Region oder Gesellschaft. Niemand muss warten, bis von oben ein Grundeinkommen eingeführt wird. Von oben kommen nur die bekannten Kontroll-Modelle, die Zuteilung an Wohlverhalten binden; bestenfalls wird ›die Politik‹ auf reale gesellschaftliche Veränderungen reagieren.«
Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens liegt aber gerade darin, dass der Staat die Aufgabe der Mittelverteilung übernimmt. Daran erinnert Sabine Maiya Storch, aktiv im Netzwerk Grundeinkommen Göttingen. Das Besondere am BGE sei, »dass es gerade nicht an ein bestimmtes Projekt gebunden ist. Außerdem wäre es im Vergleich zu einem ›Grundeinkommen‹, das Menschen heute schon über ihre Zugehörigkeit zu einer Familie oder sonstige soziale Gemeinschaften erhalten, auch unabhängig von persönlichen Beziehungen. Diese Ungebundenheit ist meines Erachtens zentral. Das hieße auch, dass ein Grundeinkommen nur über die ›große‹ Politik und das staatliche Steuersystem umsetzbar wäre. Damit würde es alle Menschen des politischen Gemeinwesens mitnehmen – auch die (noch oder momentan) nicht ganz so Kulturkreativen.«
In diesem Sinn warnt Josef Kusstatscher: »Es ist ein elementarer Fehler, den Staat schlechtzureden. Die Polis, das Gemeinwesen, muss aufgewertet und gestärkt werden.« Er weist auf die unheilvollen Folgen der Privatisierung wichtiger öffentlicher Aufgaben hin. »Privatisierung bedeutet im etymologischen Sinn Diebstahl (privatum = beraubt, abgesondert). Politische Impulse ›von unten‹ als basisdemokratische Mitgestaltung, ja! Die Zivilgesellschaft ist aber kein Ersatz des Staates für die Gewährleistung öffentlicher Dienste!«
Oya-Redakteur Wolfram Nolte ist auch der Meinung, man dürfe den Staat nicht aus der Verantwortung lassen. Neben dem Grundeinkommen bräuchten viele weitere Bereiche eine Lobby, die sich zum Beispiel für eine staat­liche Anschubfinanzierung von selbstorganisierten sozial-ökologischen Projekten einsetzt oder für einer Förderung der Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern an sinnvollen, selbstorganisierten Initiativen wie Ökodörfern.
Auch Ronald Blaschke betont den Staat und weist zugleich auf die Bedeutung von Gemeinschaftsprojekten hin. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann seiner Meinung nach nur mit politischen Mehrheiten durchgesetzt werden. Modell- und Einstiegsprojekte könnten aber eine Vorbild- und Mobilisierungswirkung haben, »ob es nun Ansätze eines tätigen ›Grundeinkommens‹ (Lebensgut Pommritz), regionale Grundeinkommen aus einer Bürgerinnen- und Bürgerstiftung, Umsonstläden, gebührenfreie Mobilität im öffentlichen Nahverkehr, gebührenfreie Nutzung von Kultureinrichtungen, Stadtteilläden sind. Entscheidend ist dabei, dass dem Menschen für seine Existenz- und Teilhabesicherung, für seine Tätigkeiten und Musen – und für seine Muße – monetäre, materielle, infrastrukturelle Ressourcen bedingungslos zur Verfügung gestellt werden. Solche Projekte können auch Lernorte für ein solidarisches Leben sein. Aber sie können auch, und das ist historisch verbürgt, ohne grundlegende gesellschaftliche Veränderungen Randphänomene bleiben oder zur Karikatur ihrer selbst werden. Damit wäre ihre Wirkung sogar ins Gegenteil ­verkehrt.«

Experimente wagen!
Wer durch die Einkaufsstraßen einer beliebigen Großstadt geht, mag den Glauben daran verlieren, dass »Lernorte solidarischen Lebens« jemals mehr als ein Randphänomen werden könnten. Aber wer weiß, ob nicht der eine oder andere Einkaufstaschenträger nicht doch jemand ist, der längst das eine Lebensexperiment wagt?
Johannes Ponader hat mit »Einkommensgemeinschaften« experimentiert, in denen sich die Mitglieder gegenseitig ein Grundeinkommen zu-muten und garantieren. »Hierzu ist mehr Mut nötig, denn ich muss dabei in das Vertrauen gehen, dass mich die Gemeinschaft trägt, wenn ich finanziell weniger beitrage als ich benötige. Bei diesem Experiment lässt sich ablesen, dass es vielen Menschen leichter fällt, zu geben, als zu nehmen.« Auf seinem Kongress möchte er ein weiteres Experiment vorbereiten: die Einführung komplementärer Währungssysteme, bei denen allen Beteiligten ein Grundeinkommen ausgeschüttet wird.
Das für Menschen, die gut verdienen, am einfachsten umsetzbare Modellprojekt hat Johannes Ponader bereits am eigenen Leib ausprobiert: So viele Tage in der Woche einer Erwerbsarbeit nachgehen, wie benötigt wird, um sein persönliches Grundeinkommen zu verdienen. Die anderen Tage nach dem Leitsatz leben: »Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?«
Thomas Weber, Kultur- und Medienwissenschaftler, kann auch auf Erfahrung zurückgreifen: »Ich bin (gewählter) Leiter des seit knapp 20 Jahren bestehenden Avinus Verlags, der versucht, Formen solidarischen Arbeitens zu organisieren, indem die Mitarbeiter selbst über die Strukturen bestimmen, einen Teil ihrer Arbeit ehrenamtlich einbringen oder einen Teil ihres Einkommens an die Struktur abtreten und damit unter anderem auch kompensatorische Umverteilungseffekte organisieren, z. B. wenn jemand gerade ein Auftragsloch hat. Gerade weil das mehr oder weniger gut funktioniert, sehe ich auch die Grenzen unserer Möglichkeiten. Letzthin ist das nur eine Lösung für Menschen mit einem hervorragenden Ausbildungsstand und vermarktbaren Talenten. Aber was ist mit den anderen?« Nur der Staat, meint Thomas Weber, könne die notwendige Umverteilung bewerkstelligen. Aber auch er ist der Meinung: »Abwarten ist Nonsens.« Solange sich der Staat trotz Druck auf die Parteien nicht bewegt, sei die Zivilgesellschaft gefragt.
Christoph Schlee hat negative Erfahrungen mit internationalen staatlichen Modellprojekten zum Grundeinkommen gemacht: »Ich habe gerade vier Wochen bei einem Grundeinkommensprojekt bei São Paulo verbracht, das von der Organisation ReCivitas in dem kleinen Dorf Quatinga Velho vor zwei Jahren eingeführt wurde. ReCivitas hat erlebt, wie die Beteiligung der Politik Projekte eher kaputtmacht, als ihnen auf die Beine hilft. Ähnliches sehen wir in Namibia. Mein Bestreben geht im Moment dahin, wie ReCivitas ein internationales Netzwerk von Initiativen und Pilotprojekten zu kreieren, das sich gegenseitig stützt, Erfahrungen austauscht und immer weiter wächst. Nötig sind dazu Finanzierungsinstrumente, die den Projekten Selbständigkeit und innere Stabilität verleihen. Wir sind gerade dabei, einen Fonds aufzusetzen.«
Das sind die richtigen »Impulse von unten«. Wobei Ulli Sambor anmerkt, dass das ein falscher Ausdruck ist. »Wir als Staatsbürger fühlen uns unten, statt darauf hinzuweisen, dass wir der Souverän sind und die Politiker diejenigen, die von uns beauftragt werden.«
Dieter Koschek, Redakteur der Zeitschrift »jedermensch« und Mitarbeiter im Verlag AG SPAK betont die Rolle von Gemeinschaften: »Ein gemeinsames Geld einer Gruppe (Fonds, Nachbarschaft etc.) braucht noch viel Arbeit am Einzelnen und an der Gemeinschaft. Tauschkreise und Komplementärwährungen sind schon ein schwieriges, aber notwendiges Umfeld. Gemeinsame Kassen sind noch seltener. Verwirklichen wir kleine Schritte, und im Lauf dieses Prozesses werden dann schon weitere Ideen kommen.«

Niemand kann mehr warten
Grundeinkommen bereits heute leben – das kann offenbar ein Kondensationskeim für eine Menge guter Ideen werden. Tanja Ries schlägt dazu vor: »Wir können unsere Steuern direkt in das Gemeinwesen stecken, in Projekte, die wir für sinnstiftend erachten. Wir können Bürgerspaziergänge veranstalten und uns mit all unseren Anliegen öffentlich zeigen. Wir können Abhängigkeitsstrukturen in unseren Beziehungen auflösen. Wir können unsere eigene Geschichte bearbeiten, um uns wieder mit unseren empathischen Fähigkeiten zu verbinden – jeder einzelne kann unendlich viel tun, indem er oder sie in die Verantwortung bzw. in die Freiheit geht.«
Damit spricht sie den innersten Punkt auf dem Weg zu einem neuen Verständnis von Arbeit, Einkommen und Lebensqualität an. Gerade weil die Fragen zum Grundeinkommen so viele Ebenen betreffen, fehlen die Patentrezepte. Aber genau das macht das revolutionäre Potenzial dieser Bewegung aus, wenn sie es nicht bei der Lobbyarbeit belässt, sondern auch praktische Experimente wagt.
»Sometime they’ll give a war and nobody will come« – »Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.« Das war ein starker Satz, den die Friedensbewegung von Carl Sandburg geborgt hatte. Wer gibt der Grundeinkommens-Bewegung, womöglich im Verein mit der Gemeinschaftsbewegung, den Bewegungen für solidarische und soziale Ökonomie und der Subsistenzwirtschaft, einen ähnlich starken Satz, der als neue Losung taugt? »Wirtschaft und Politik führen Krieg gegen den Planeten, aber wir machen nicht mehr mit«? Nein, das klingt noch nicht gut. Die Ansätze sind zu vielschich­tig, als dass sie sich in einen Satz bringen ließen. Das aber gibt dem Ungewöhnlichen eine Chance: »Wenn jeder sein eigener König ist, muss keiner der König des anderen sein«, ist das Motto der »Krönungswelle«, die seit einiger Zeit durchs Land rollt: Grundeinkommens-Aktivisten setzen Menschen auf der Straße eine goldene Krone auf den Kopf – ein Kulturimpuls zum Selber-Querdenken.

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