Gesundheit

Ohne weißen Kittel

Kornelia Götze sucht nach einer gesunden Weise, ihren Beruf als Ärztin auszuüben.von Julia Vitalis, erschienen in Ausgabe #24/2014
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Das Angebot von Kornelia Götze besteht darin, dass sie Diagnosen und allgemeine körperliche Abläufe erläutert, Therapien und mögliche Alternativen erörtert und Menschen bei Operationen oder im Sterbeprozess zur Seite steht.
Das positive Echo aus ihrem persönlichen Umfeld auf dieses Konzept hat gezeigt, dass sie damit eine Lücke füllt, die aufgrund von Zeitmangel oder sprachlichen Missverständnissen häufig für Probleme sorgt. Die Ursachen für die Schwierigkeiten bei der Kommunikation zwischen Ärztin und Patientin liegen ihrer Meinung nach unter anderem in der Ausbildung, die zwischenmenschliche Aspekte wenig bis gar nicht berücksichtigt: »An meiner Traum-Uni für Medizin würden die Studierenden erst einmal menschliche Interaktion studieren, daraus würde sich dann ein Kommunikationskurs bilden. Es gäbe eine Begleitung im praktischen Jahr, wo erste – sehr handfeste – Erfahrungen im Krankenhausalltag gemacht werden. Hier wäre es wichtig, auch gute Kommunikation mit Vorgesetzten und Angehörigen anderer Berufsgruppen zu lernen, damit die derzeit üblichen Hierarchien sich immer mehr abbauen und alle von den Qualitäten des Gegenübers profitieren können.«
Ausschlaggebend dafür, dass Kornelia die sichere Laufbahn als Ärztin in Richtung Selbständigkeit verließ, war ihre eigene durch eine ernsthafte Erkrankung ausgelöste Krise. Doch bereits während der klinischen Tätigkeit in den Jahren zuvor und bei der Begleitung von sterbenden Angehörigen war in ihr immer mehr eine kritische Dis­tanz zu den üblichen Abläufen im Medizineralltag gewachsen. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der eigenen Verletzlichkeit als Kranke wurde ihr bewusst, dass auch sie eine Barriere zwischen sich und ihren Patienten aufgebaut hatte – und dass sie daran etwas ändern wollte und musste, um selbst wieder gesund zu werden.
Dieses Erleben führte auch zu einer stärkeren Außenschau auf ihren Beruf und seine Schattenseiten: »Ich glaube, die Ärzte haben sich über Jahrhunderte hinweg in eine ähnliche Position wie die Priester manövriert. Man steht ziemlich allein auf einem Sockel. Viele Ärzte wollen diese Machtposition nicht loslassen, weil sie verführerisch ist. Sie hat aber den Preis, nicht mehr als der normale Mensch, der man ist, gesehen zu werden.«
Betrachtet man diesen Aspekt zusammen mit dem alltäglichen Druck im Klinikbetrieb und der Tatsache, dass es im Studium keinerlei Vorbereitung auf die vielen belastenden Situationen gibt, wundert es nicht, dass die Gruppe der Ärzte eine höhere Selbstmord­rate als andere Berufsgruppen aufweist.
Die eigene Integrität zu bewahren und ausreichend Zeit zu haben, sind daher für Kornelia wesentliche Voraussetzungen, um als Mensch mit den Menschen zu sein, ihnen zuzuhören und ihre Ängste ernstzunehmen. Hier hat sie einiges von den alten, jetzt pensionierten Medizinern gelernt, die noch mehr auf ihre eigene Intuition achteten, weil es viele diagnostische Methoden früher noch gar nicht gab.
Für Kornelia ist es auch wichtig, dass »Tod und Sterben wieder Bestandteil des alltäglichen Lebens sind und nicht in die Krankenhäuser nach außen gedrückt werden. Wir brauchen mehr Verständnis für diese Prozesse und die Gewissheit, dass da nichts Schlimmes passiert, sondern alles in Ordnung ist.« Damit bewegt sie sich in großen gesellschaftlichen Feldern, die immer noch stark von Angst und Abwehr gekennzeichnet sind. Ihre Praxis leistet hier Pionierarbeit und ist gleichzeitig ein Versuch, die Seiten von Ärztin und Patientin in sich selbst so in Übereinstimmung zu bringen, dass etwas Neues, Lebensbejahendes entstehen kann. So wirkt ihr Vorhaben wegweisend; es ist mit der Hoffnung verbunden, dass es Nachahmer findet.
Damit alle Seiten davon profitieren können, bietet Kornelia auch Coaching für Menschen aus Gesundheitsberufen an, um ihren Kolleginnen dabei zu helfen, die Balance zwischen eigenen, oft widersprüchlichen Wünschen und den realen Anforderungen des Berufs zu finden. Für sie selbst ist diese Balance eine grundlegende Voraussetzung, um ihre Arbeit ausgefüllt und glücklich ausüben zu können.
Während wir miteinander sprechen, entsteht in mir das Bild eines Vogels, der zwischen zwei durch eine große Kluft getrennten Bergen hin und her fliegt und beginnt, von beiden Seiten abwechselnd jeweils einen Erdklumpen abzutragen, so lange, bis die Kluft geschlossen ist. Kornelia selbst veranschlagt allerdings einige Jahrhunderte, die vergehen müssten, bis in unserer Gesellschaft ein Gleichgewicht in den komplexen Bereichen Gesundheit, Leben und Sterben wiederhergestellt sei. Aber: Je mehr Vögel fliegen, desto schneller wird es gehen!  

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